Marta Kijowska: "Krakau"

Spaziergang durch eine Dichterstadt


Verzauberungsflair in allen Gassen

Krakau wird mit dieser Lektüre zu einer zauberhaften, kulturell überreichen Stadt, die man sich nicht mehr aus dem Gedächtnis wegzudenken traut, auch wenn der Untertitel "Spaziergang durch eine Dichterstadt" eher belanglos wirkt, denn man hat es doch mit einer intensiven Stadtführung zu tun, die kaum einen Winkel auszulassen scheint.

Marta Kijowska verbindet in diesem so ungewöhnlich kenntnisreichen und detailgenauen Buch sehr viele kulturelle Komponenten und fügt diese zu einer besonderen künstlerischen Komposition zusammen. Wer bei "Dichterstadt" lediglich an Lyrik oder Prosa denkt, dem weitet Kijowska augenblicklich den Horizont. Neben diesen klassischen Formen künstlerischen Ausdrucks bezieht die in Krakau geborene Germanistin nämlich sowohl Theater, Musik, Kabarett als auch das Zeitungswesen in ihre Ausführungen ein.
So zeichnet sich immer präziser aus unterschiedlichen Perspektiven ein gründliches Bild der Kulturhauptstadt Europas des Jahres 2000.

Historische, politische, religionsbezogene Kenntnisse werden in diesen dichten Stadtführer im ausgewogenen Maß eingewoben. So werden Ereignisse aus dem Nationalsozialismus, der russischen Okkupation, die Judenverfolgung, aber auch der Fall des "Eisernen Vorhangs" und die Bedeutung des späteren Papstes Karol Wojtyla in kurzweiligen Anekdoten offenbar.
Die bildhafte Sprache und die sorgfältig recherchierten Darstellungen über das Dichtertum in Krakau machen dieses Buch zu einem Muss für jeden kulturell interessierten Krakaubesucher.

Georg Trakl, Wislawa Szymborska, Czeslaw Milosz, Stanislaw Przybyszewski und Jodovicus Ludivicus Decius sind nur einige der zahlreich erwähnten, aufgezeigten und zum Teil intensiv behandelten Künstlerpersönlichkeiten, welche bei diesem Spaziergang durch Krakau so lebendig werden, dass man sich schon leibhaftig in Krakau zu befinden meint.
Dass in Krakau zum Beispiel wertvolle Kulturschätze, wie Autografen von Goethe, Schiller und Luther oder auch Musikhandschriften von Bach, Mozart oder Beethoven im Zweiten Weltkrieg ausgelagert und gerettet wurden, ist nur eine der vielen Geschichten, welche die Autorin spannend eingebettet zu schildern vermag.

Bei soviel Reichtum fragt man sich, was wohl in diesem Buch fehlt ... auf jeden Fall wäre eine Stadtkarte - vielleicht wären sogar mehrere aus unterschiedlichen Epochen - unerlässlich gewesen. Bei den einzelnen schwarz-weißen Fotos, die sich häufig auf Details von Gebäuden oder Plätzen beziehen, hätte man sich eine vielseitigere und weiter reichende Perspektive gewünscht. Zudem wäre eine Auflistung wesentlicher Künstler mit Lebensdaten wie auch eine Titulierung der Kapitel ein gute Ergänzung gewesen.

Im Gesamten ist dieses Buch ein ungemein reichhaltiger Schatz, den man gut dosiert kosten mag, um sich dem Zauber hinzugeben, den nur eine kulturelle Hochburg bieten kann.
Wer polnische Kunst schätzt, schätzt sich überaus glücklich mit Marta Kijowska, die in einzigartiger Weise diese durch und durch europäische Kultur nahe bringt.

(Detlef Rüsch; 10/2005)


Marta Kijowska: "Krakau"
dtv, 2005. 240 Seiten.
ISBN 3-423-24483-6.
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Marta Kijowska, 1955 in Krakau geboren, studierte Germanistik und lebt in München. Sie hat als Dozentin, Übersetzerin und Lexikonredakteurin gearbeitet, wurde mit Preisen und Stipendien ausgezeichnet und ist als Journalistin seit vielen Jahren für große Zeitungen, Hörfunk und Fernsehen vor allem zu Themen der polnischen Kultur und Geschichte tätig. Zuletzt ist von ihr erschienen: "Der letzte Gerechte. Andrzej Szczypiorski. Eine Biografie" (2003).

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