Hans Werner Richter: "Im Etablissement der Schmetterlinge"

21 Porträts aus der Gruppe 47


1947, im vom Krieg ausgebluteten Deutschland, fand sich eine Gruppe von Schriftstellern zusammen, die auf der literarischen tabula rasa, die durch die Naziherrschaft entstanden war, einen Neubeginn starteten. Hans Werner Richter war einer der Mitbegründer der "Gruppe 47", wie sich dieser eher lose Verband von Schriftstellern nannte.
In dem vorliegenden Buch beschreibt er in 21 Porträts (von I. Aichinger, C. Amery, A. Andersch, I. Bachmann, H. Böll, M. Dor, G. Eich, G. Grass, W. Hildesheimer, W. Höllerer, W. Jens, U. Johnson, J. Kaiser, B. König, W. Kolbenhoff, H. Mayer, M. Reich-Ranicki, W. Schnurre, M. Walser und P. Weiss) eine Auswahl von Persönlichkeiten, die sich in seiner Erinnerung festgesetzt hatten. Die Auswahl der Charaktere ist eher willkürlich durch ihn vorgenommen - im Nachwort gibt er eine Erklärung dafür: Von den Tagungen, die durch ihn jährlich über einen Zeitraum von 20 Jahren an den verschiedensten Orten mit den verschiedensten Teilnehmern einberufen wurden, gibt es keinerlei Protokolle und Aufzeichnungen. Daher war er beim Verfassen der Porträts auf sein mit dem Fortlaufen der Zeit doch schon etwas verschwommenes Gedächtnis angewiesen.

Die Namensliste der Teilnehmer an den Tagungen umfasst alle Größen der deutschen Nachkriegsliteratur. Das Verhältnis der einzelnen Autoren zu H.W. Richter erscheint teilweise sehr lose, teilweise blieben in seiner Erinnerung einzelne aufleuchtende Splitter hängen, die er ins Gesamtbild der Persönlichkeit einfügte. Auf den Tagungen wurde immer vorgelesen und dann Kritik durch die anderen Kollegen geübt. Der Sitz auf dem "elektrischen Stuhl" neben Richter war sowohl gefürchtet als auch begehrt.

Immer wieder beschreibt der Autor die Problematik der Preisvergabe. Auf der einen Seite der stolze Preisträger und auf der anderen Seite der gekränkte, weil nicht gut angekommene Künstler. Noch dazu war die Rolle des Buchautors keineswegs eine ebenfalls beurteilende, sondern sein Bereich war das Organisatorische der Veranstaltungen, die Kontaktpflege mit den einzelnen Institutionen und Mitgliedern. Daher stimmten oft seine persönlichen Einschätzungen nicht mit denen der übrigen Mitglieder überein.
Immer wieder stieß ich bei der Lektüre auf sein Problem, einen Kreis von Individualisten, im Grunde alles Konkurrenten, die ein einziges Band, die Literatur, verbindet, so darzustellen, dass keine persönlichen Präferenzen oder Abneigungen sichtbar werden.

Diese Haltung jedoch ist es, welche dem Buch irgendwie den Schwung, das Feuer nimmt. Kaum setzt Richter zu einer kritischen Bemerkung an, relativiert er sie im nächsten Satz sofort. Er will in keiner Weise irgendwie parteiisch erscheinen und nie jemanden kränken.

Die gesamte Gruppe gehörte eher dem linken Spektrum der Weltanschauungen an, manche Mitglieder standen weiter links, was Richter sehr wohl aufzeigt, aber er lässt oder ließ sich darüber in keine Diskussionen mit den Betroffenen ein.

Auch das geht zu Lasten von Spannung und erzeugt eine brave Sammlung von kleinen Geschichten rund um große Leute. Man darf wohl nicht vergessen, dass Richter, der 1993 in München verstarb, einer älteren Generation von Autoren angehörte, die einfach einen anderen Erzählstil pflegten.
Wird heute über Persönlichkeiten geschrieben, wird eine andere Sprache verwendet. Direkter, manchmal auch etwas respektlos. Und gerade das ist es, was Hans Werner Richter in jeder seiner Zeilen vermeidet. Seine Achtung gilt allen Mitgliedern der Gruppe, wie weit links oder wie provozierend sie auch sein mochten. Dadurch liegt ein Werk vor uns, das durch seine Erinnerungen einen durchaus wertvollen Beitrag über die Literaturszene der Nachkriegszeit bringt, jedoch ein etwas zähes Lesevergnügen bietet.

(HB; 12/2004)


Hans Werner Richter: "Im Etablissement der Schmetterlinge"
Mit Fotos von Renate von Mangoldt.
Wagenbach, 2004. 280 Seiten.
ISBN 3-8031-2499-9.
ca. EUR 12,30. Buch bei Libri.de bestellen
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Hans Werner Richter wurde 1908 in Bansin auf der Fischerinsel Usedom geboren. Nach einer Lehre arbeitete er als Buchhändler und für Verlage. 1946 gab er mit Alfred Andersch die Zeitschrift "Der Ruf" heraus.

Ein Tonträgertipp:

Heinz Ludwig Arnold: "Die Gruppe 47"

"Sie hat eine wunderbare Funktion gehabt, sie hat Autoren zusammengeführt, sie hat Freundschaften gestiftet, einen bestimmten Stil der Kritik entwickelt", so Heinrich Böll über die Gruppe 47. Für viele berühmte Schriftsteller und Kritiker wie Heinrich Böll und Günter Grass, Ingeborg Bachmann und Martin Walser, Peter Handke und Joachim Kaiser wurde diese Dichtervereinigung zur literarischen Heimat.
Die Tondokumentation von Heinz Ludwig Arnold gibt die kreative und oft hitzige Stimmung der Tagungen wieder. Aus Mitschnitten der Lesungen der Gruppe 47 und Interviews mit deren Sympathisanten und Kritikern stellt der Autor einen Beitrag zusammen, der die Geschichte dieser ungewöhnlichen Dichtervereinigung von den Anfängen 1947 bis zur Auflösung 1967 umfasst. (Hessischer Rundfunk, 2002; Der Hörverlag)
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