Wiebke Walther: "Kleine Geschichte der arabischen Literatur"

Von der vorislamischen Zeit bis zur Gegenwart


Selbst im 21. Jahrhundert beschränkt sich unser Wissen über die arabische Welt zu häufig auf altbackene Klischees. Wir kennen vielleicht das Werk Karl Mays, der in seinen Romanen als Kara Ben Nemsi durchs wilde Kurdistan ritt und dabei erfuhr (übrigens stimmt das), dass auf arabisch Sohn "Ibn" heißt. Dann gibt es die als Kindergeschichten bekannt gewordenen "Märchen aus 1000 und einer Nacht", die an Boccaccios "Dekameron" erinnern, im literarischen Kosmos Arabiens aber eher den Rang von Unterhaltungsliteratur einnehmen. Und wir wissen, dass manche Menschen den Koran, das zentrale Werk der arabischen Literatur, sehr eigenwillig auslegen. All das aber gibt nur Klischeebilder ab.

Deshalb ist es gut und richtig, sein Wissen aus akademischen Quellen zu ergänzen. Damit ist man im neu erschienenen Buch der Tübinger Professorin Wiebke Walther, das einen Abriss der arabischen Literatur zeichnet, bestens bedient. Das Werk ist fundiert, gut dokumentiert und strahlt die Sachkenntnis jahrzehntelanger Arbeit aus. Vereinzelt finden sich auch Bezüge zur Jetztzeit, zum Beispiel, wenn sie erwähnt, dass Saddam Hussein sich bei seinem letzten Appell an das Volk der Bagdader Mundart statt der Hochsprache bediente, was ein klarer Bruch mit der Tradition und einer Verzweiflungstat angemessen war.

Für den Neuling und Nichtakademiker ist das Buch auf den ersten Blick eventuell abschreckend. Der sachliche Ton, die Dichte der Details und die zahlreichen Querverweise lassen erkennen, dass sich hier eine Wissenschaftlerin an Kollegen und Studenten richtet, die all das wissen müssen. Deshalb ist das Buch nicht in einer Reihe mit Werken wie etwa Barbara Tuchmans unvergesslicher Einführung in das Mittelalter, "Der ferne Spiegel", oder Arno Borsts Buch "Lebensformen im Mittelalter". Beide schrieben fachkompetent und informativ, ohne das Laienpublikum abzulehnen. Nicht zuletzt deshalb ist zu befürchten, dass die "Kleine Geschichte der arabischen Literatur" auf Fachzirkel begrenzt bleiben wird.

Wer weiterliest, wird aber reich entlohnt. Die arabische Literatur hatte zu der Zeit, als nach der Völkerwanderungszeit die gewachsenen Strukturen völlig zusammenbrachen und Europa sich in eine unzivilisierte Wüste verwandelte, eine Reichhaltigkeit und Relevanz, die mit unserer Zeit mehr gemeinsam hat, als man denken könnte. Damals, nach dem Zerfall Roms, war der arabische Raum der Sitz der menschlichen Kultur. Dafür hat sie seit 1800 nur wenig zu bieten als Schrifttum, das als Reaktion auf und durch den Einfluss der europäischen Kultur entstanden ist.

Sehr gut herausgearbeitet und mit interessanten historischen Anmerkungen ist das Kapitel über die Adab-Literatur, eine Kombination erbaulicher Schriften, teils Prosa, teils Dichtung, die zum Großteil im 12. Jahrhundert erfasst wurden, zahlreichen europäischen Autoren des 19. Jahrhunderts Anregungen gegeben haben und so zeitgenössisch wirken, dass man manchmal staunt. Man wünscht sich direkt, ein Verlag wie C.H. Beck würde sich das Buch vornehmen, und die darin nur angerissenen Werke hervorsuchen, übersetzen lassen und als gesonderte Reihe drucken. Die Themen würden auch den heutigen Leser interessieren: "Das Buch der Kenntnisse", das "Das Buch über die guten und schlechten Seiten", oder entwaffnend offene Schriften wie "Der Vorzug des Bauchs vor dem Rücken" (ein Loblied der Heterosexualität) oder "Über den Ruhm der Schwarzen gegenüber den Weißen" (warum Afrikaner angeblich begabter sind als Europäer).

Wenn es einmal eine erweiterte Fassung des sehr knapp geratenen Buchs geben würde, wäre ich für Ausschnitte aus den Werken dankbar. Oder man überlegt sich einen zweiten Band, in dem einfach für den Laien ein spritziger Aufguss aus dem Buch verfertigt wird. Das Thema und auch die fachlich überzeugende Autorin hätten es verdient.

(Berndt Rieger; 09/2004)


Wiebke Walther: "Kleine Geschichte der arabischen Literatur"
C. H. Beck, 2004. 336 Seiten.
ISBN 3-406-52243-2.
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Dr. Wiebke Walther ist apl. Professorin für Arabistik und Islamkunde an der Universität Tübingen. Für ihr Gesamtwerk, das auch Übersetzungen moderner arabischer Literatur umfasst, wurde sie mit dem Rückert-Preis der Stadt Schweinfurt ausgezeichnet (1988).

Zwei weitere Buchtipps:

Robert Marzari: "Fesselndes Arabisch"
Hans Schiler, 2004. 176 Seiten.
Strukturelle Schwierigkeiten und künstliche Barrieren in der arabischen Sprache

Der Aufwand der Erlernung einer Schriftsprache unterscheidet sich ganz gewaltig, je nach Schriftsystem und je nach der Nähe der gesprochenen Sprache zur Schriftsprache. Im vorliegenden Buch zeigt der Autor sowohl die Schwierigkeiten als auch die Barrieren des Arabischen auf, und unterscheidet dabei außerdem zwischen Schwierigkeiten, die nur geringfügig verändert, und Barrieren, die unbedingt abgeschafft werden müssten, um der Mehrheit in den arabischen Völkern einen leichteren Zugang zur Schriftsprache zu ermöglichen.
(Klappentext)
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Heinz Halm: "Die Araber"
Von der vorislamischen Zeit bis zur Gegenwart
Heinz Halm schildert hier kompakt und allgemeinverständlich Geschichte und Kultur der Araber von der Zeit ihrer ersten Erwähnung in den Inschriften der Assyrerkönige über die Entstehung und Ausbreitung des Islam bis zu den Entwicklungen der arabischen Staaten in unserer Gegenwart. (C. H. Beck)
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