Martin Amis: "Yellow Dog"

Xan Meo erwacht aus dem Koma und wird zum Rüpel, der König der Pornoindustrie dreht heimlich Videofilme über die Kronprinzessin, und Clint Smoker, Journalist eines Busenjournals, ist auch nicht ganz sauber.


Der König war nicht in seinem Büro und zählte sein Geld. Er war in einem Salon an der Place des Vosges und hörte sich sehr schlimme Neuigkeiten an. Der Stallmeister im Sessel gegenüber hieß Brendan Urquhart-Gordon. Zwischen ihnen lag auf einem niedrigen Glastisch ein Foto, umgedreht, und eine Pinzette. Und auch das Zimmer glich einem Foto: seit mehreren Minuten hatte keiner der beiden sich geregt oder etwas gesagt.
Um die Szene zu beleben, wurde eine Schwingung gebraucht, und die kam: das Ping einer Stimmgabel, als eine der tausend Facetten des eisigen Kronleuchters sich in dieser Tonne Glas geringfügig umgruppierte.
(Aus dem Roman)

Selten kommt es vor, dass ein Sohn im Bereich der Schriftstellerei in die Fußstapfen seines Vaters tritt und diesen auf dem internationalen Feld auch noch übertrifft. Martin Amis, Sohn von Kingsley Amis, Erfinder des Campus-Romans, ist einer der Wenigen, denen dies gelungen ist. Und so hat er in den letzten Jahren bereits etliche preisgekrönte Romane veröffentlicht, von denen "Der Pfeil der Zeit" sicherlich einer der ungewöhnlichsten ist.

In "Yellow Dog" nun geht es um verschiedene Männer, deren unterschiedliche Lebenswege sich mehr oder weniger stark berühren. Zunächst ist da Xan Meo, der zum zweiten Mal verheiratete schriftstellernde und Musik machende Sohn eines Londoner Kleinganoven, der an seinem Geburtstag in einem Lokal namens "Hollywood" von ihm unbekannten Männern heftig zusammengeschlagen wird, so dass er mit schweren Kopfverletzungen im Krankenhaus landet. Als er wieder zu sich kommt, gibt er vor, sich an nichts im Zusammenhang mit dem Angriff erinnern zu können, da er plant, seinen Gegnern genau die Antwort zu geben, die er einst von seinem Vater für solche Situationen gelernt hat. Aber es ist mehr als das. Unterstützt von seiner leicht schadenfrohen Exfrau Pearl und seinen beiden Söhnen aus erster Ehe, kehrt Xan in sein Haus voller Frauen - eine Ehefrau und zwei kleine Töchter - zurück und erweist sich hier als das absolute Gegenteil der liebens- und bewunderungswürdigen Person, die er zuvor gewesen ist. Und dies sorgt auch bei ihm selbst für einige Probleme. Bis er schließlich eines Tages von einer ihm unbekannten Frau zu einer Nummer in einem Hotelzimmer eingeladen wird.

Diese Frau wurde von jemandem namens Joseph Andrews zu dieser Einladung angehalten, der auch die Schläger für Xan bestellt hatte. Andrews arbeitet in den Vereinigten Staaten von Amerika in der Pornoindustrie, nachdem er nach einer langen Karriere als gewalttätiger Räuber zunächst von England nach Irland, und von dort aus schließlich nach Amerika gekommen war. Seine Motivlage für diesen Anschlag ist nicht ganz klar, aber Beschreibungen von Vorgängen in seinem Haus zeigen deutlich, dass er nach sehr eigenen Regeln von Untat und Bestrafung lebt.

Ebenfalls mit Pornografie muss sich das englische Königshaus auseinandersetzen, als König Henry IX. und sein Faktotum eines Tages ein Video der fünfzehnjährigen Prinzessin Victoria im Badezimmer zugespielt bekommen. Auszüge aus diesem Video gehen kurz darauf auch an die Presse, so dass eine fieberhafte Jagd nach den Übeltätern beginnt.

Hauptnutznießer dieses Skandals ist zunächst der titelgebende "Gelbe Hund", ein schmieriger Reporter eines Revolverblättchens namens "Morning Lark" (solche Zeitungen werden in Großbritannien der "yellow press" zugeordnet, aber die Farbe Gelb wird im Weiteren noch an anderen Stellen eine große Rolle spielen). Für ihn und seine Kollegen ist die nackte Prinzessin mal eine nette Abwechslung zu unzüchtigen Nonnen und großbusigen Seite-Drei-Mädchen, die besonders bei Clint Smoker - eben diesem "Gelben Hund" - große Aggressionen hervorrufen, weil er selbst an bestimmten Stellen eher sehr klein ausgestattet ist. Doch das Glück scheint via Internet zu ihm zu kommen, in Form einer Frau, der Größe egal zu sein scheint. Doch vor dieses Treffen haben die Götter der Journaille noch Recherchen in der amerikanischen Pornoindustrie gestellt, bei denen Clint bald nicht nur der Kopf raucht.

Und ein reiner Raucherflug wird durch die ungewollten Handlungen einer im Laderaum liegenden Leiche über den gesamten Handlungsverlauf des Buchs dem Absturz nahe gebracht. Todesangst, Sex, Pornografie und Gewalt sind grundlegende Themen dieses Buchs und auch in teilweise sehr neuartiger Form behandelt, wenngleich wohl nicht jedem Leser all diese Hintergründe zu den Themen Pornoindustrie und Inzest zusagen werden.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 08/2005)


Martin Amis: "Yellow Dog"
(Originaltitel "Yellow Dog")
Aus dem Englischen von Werner Schmitz.
Hanser, 2004. 360 Seiten.
ISBN 3-446-20524-1.
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Martin Amis wurde am 25. August 1949 in Oxford geboren. Nach seinem Studium am Exeter College in Oxford arbeitete er für verschiedene Zeitungen in England. Sein erster Roman "The Rachel Papers" (dt. "Das Rachel-Tagebuch") ließ die Kritiker in aller Welt aufhorchen. Für dieses Werk erhielt er unter anderem den Somerset Maugham Award.

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