Heinrich Steinfest: "Gemälde eines Mordes"

Frau Wolf und Cheng ermitteln


"Das hat die Wirklichkeit so an sich, ein wenig unglaubwürdig zu sein. Und seien wir ehrlich, dass es sich bei einigen Politikern um eingesetzte Schauspieler handelt, den Eindruck hat ja jeder schon mal gehabt, oder? Man traut es sich nur nicht zu sagen, wie man sich nicht traut zu sagen, man habe einen Geist gesehen. Aber der Eindruck ist da." (S. 139)
"Mord als Gemälde. Aber ein Gemälde, das jemand anderem zugeordnet wurde." (S. 267)

Cheng, der zunehmend vergessliche Ermittler und Sekretär, geht auf die 60 zu und ist todkrank, was er weitgehend ungerührt akzeptiert, wobei sich der Hirntumor immer stärker bemerkbar macht. Doch bevor er in seinen (aller Wahrscheinlichkeit nach kurzen) Ruhestand treten kann, müssen Cheng und Frau Wolf in bewährter Manier einen (letzten?) kniffligen Fall lösen: Oliver Roschek, angeblich in Australien verschwundener Zoologe, soll im Auftrag seiner steinreichen Ehefrau Astrid prompt wiedergefunden werden.
Was zunächst nach detektivischer Routine klingt, entpuppt sich als immer wieder lebensgefährliches Unterfangen, geraten Cheng und Frau Wolf doch bald ins Visier einer höchst professionell international operierenden Auftragsmördertruppe.

Wie bei Heinrich Steinfest üblich, steckt das Vergnügen sozusagen im Detail. Seine immer wache Beobachtungsgabe sowie die wunderbare Fähigkeit des Autors, aktuelle Zustände, einprägsame Szenerien und plastische Figurenbeschreibungen geradezu spielerisch auf den Punkt zu bringen, sorgen innerhalb der extrem turbulenten, spannenden Geschichte für vorzügliche Unterhaltung. Aber Achtung: Nicht alle "echt" wirkenden Dinge existieren auch in unserer Welt, das Ratgeberbüchlein "33 Sätze, die absolut keinen Sinn ergeben, aber von bedeutenden Leuten stammen - und dazu 33 Versuche einer Erklärung" beispielsweise; es ist und bleibt Fiktion. Frau Wolf und Cheng agieren nun einmal in einem "Paralleluniversum", wie der umsichtige Autor eingangs anmerkt und folgerichtig vier aufschlussreiche Zitate aus beiden Welten an den Romananfang stellt.

Also ermitteln Frau Wolf und Cheng, einander einmal mehr perfekt ergänzend, und müssen zahlreiche Gefahren und Abenteuer überstehen. Eine Nacherzählung des Buchinhalts verbietet sich, um das Lektüreerlebnis nicht zu beeinträchtigen.
Daher nur soviel: Ausgehend von einem Ferienhaus im australischen Kangaroo Valley mit einem ganz besonderen Tischtennistisch und vier absolut nicht konfliktscheuen angeblichen Lottogewinnern aus Deutschland entwickelt sich die wendungsreiche Handlung, heimliche Fotografien tragen zur Aufklärung bei, ebenso Frau Wolfs hilfreicher Freund beim BND, auch Oliver Roscheks omnipräsentes Erfolgsbuch über einen Wombat namens "Toby" mit überraschender Spezialaufgabe. Es geschehen eine mordlistige Fastverführung und ein beinahe tödlicher Tauchgang, ein international gesuchter "Fälscher" mit nahezu perfekter Tarnidentität und doch allzu menschlichen Schwächen treibt sein Unwesen: "Was dieser Mann tue, besitze in der Regel einen Stil, einen Charakter, eine Vorgehensweise, die nicht ihm - der mehr ein Phantom aus wechselnden Namen sei - angelastet werde, sondern einer bestimmten Person oder Gruppe, die man verantwortlich machen könne für das, was geschehen sei.
Das Ziel solcher Attentate bestehe darin, einen Umsturz oder Krieg auszulösen, eine Staatsaktion, eine Verhaftungswelle oder aber Proteste. Auf Demonstranten zu schießen, wenn jemand darin einen Nutzen sehe. Eine Verschwörung zu suggerieren, wo keine sei. Oder den wahren Charakter einer Verschwörung zu verstellen, Chaos zu stiften, Unsicherheit zu verbreiten, wenn jemand sich eine bestimmte Art von Chaos und Unsicherheit wünsche."
(S. 113)
Weitere Zutaten sind eine alarmierende aufgezeichnete Agentenbeichte, eine Kunsthändlerin mit branchenüberschreitenden Fähigkeiten, ein Attentat auf einen berühmten Taiwanesischen Dirigenten in der Hamburger Elbphilharmonie, der Kontakt mit dem "Fälscher" höchstpersönlich, der seinem kriminellen Lebenswerk einen weiteren grausamen Akt hinzufügt. Eine filmreife Verfolgungsjagd, ein vermeintliches Kollateralopfer, eine hünenhafte Sportlerin mit interessanten Informationen, einer aufschlussreichen Fotografie in der Wohnung und dem Herz am rechten Fleck, ein Ausflug zu einer Villa in Mauer, ein unliebsames Wiedersehen samt finalem Knalleffekt für einen untragbaren Schicksalsfälscher sowie eine Verhaftung.

Offen bleibt derzeit noch, ob man in Zukunft womöglich ab und zu meinen wird, Chengs Schatten an Frau Wolfs Seite wahrzunehmen ...

(kre; 01/2024)


Heinrich Steinfest: "Gemälde eines Mordes. Frau Wolf und Cheng ermitteln"
Piper, 2023. 281 Seiten.
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