Daniel Gerlach: "Die letzten Geheimnisse des Orients"


Meine Entdeckungsreise zu den Wurzeln unserer Kultur

Der deutsche Publizist, Orientalist und Nahost-Experte Daniel Gerlach, geb.1977, ist vielen als kluger, pointierter und gut informierter Autor und Regisseur von Sachbüchern und Fernsehdokumentationen zur zeitgenössischen Kultur und Geschichte des Vorderen Orients, vor allem zur muslimischen Welt, bekannt. Die Brennpunktberichterstattung (z. B. "Herrschaft über Syrien", 2015) lässt er diesmal hinter sich.

Sein bislang letztes Werk führt tiefer in die Geschichte hinein und fasst den Orient weiter. Er liest den Orient für den Westen, zumindest für seine deutschsprachige Leserschaft. Dabei spielt er bereits im Titelzusatz mit Bildern, Stereotypen und literarisch-kulturellen Traditionen seit biblischen Zeiten. Letztendlich ist es – wiederum am Einband angekündigt – eine persönliche Entdeckungsreise durch den Nahen Osten, eine nachdrückliche Suche nach dem gemeinsamen Erbe der Religionen und Kulturen. Es wäre kein Buch über verborgenes Wissen aus dem Orient, wenn sich Daniel Gerlach bloß auf die Hauptströmung der monotheistischen Religionen, also Judentum, Christentum und Islam, beschränkt hätte.

Das erste von 19 Kapiteln beginnt in Nordafrika, in einer schroffen, fast entrückten Gegend in Tunesien. Dort, in Tatouine, unweit der libyschen Grenze, war der Drehort von Stars Wars. Dieser galaktische, in Hollywood designte Kampf gegen das Böse hat seine geistigen Wurzeln in der Gnosis, dem „Schatten des Christentums, dessen unbotmäßiger Begleiter, der im Laufe der Geschichte immer wieder auftaucht, um alsbald wieder verjagt zu werden.“ (Seite 11) Damit eröffnet uns der Autor gleich eingangs tiefe Einsichten in die Zeit des antiken Christentums, dessen Zentren vor allem in heute islamischen Ländern lagen. Ohne das römische Nordafrika gäbe es heute vielleicht keine Christenheit, dessen frühe Dogmatiker wie Origines aus Alexandria (185–254) oder Cyprian von Karthago (200–258) die Grenzen zur heidnischen Philosophie und anderen religiösen Strömungen mit spitzer Feder auf dem Papyrus des Altertums zogen.

Weiter geht es unter anderem mit Reisen nach Chaibar ins längst untergegangene – besser: vernichtete – jüdische Arabien, zu den Resten des Isis-Tempels auf der ehemaligen Nilinsel Philae oder zu den Mandäern im südirakischen Sumpfland, die ihren Glauben auf Johannes den Täufer beziehen und fließendes Wasser – wie verschmutzt es auch sei – als Lebensspender betrachten. Hauptnahrungsmittel im rituellen Leben wie im Alltag ist daher konsequenterweise der Wasservogel Ente.

Die Beobachtungen auf Reisen, die Gerlach in den letzten rund 20 Jahren unternahm und ihn in ein gutes Dutzend Länder zwischen Mittelmeer, Rotem Meer und Persischem Golf führten, verknüpfen Alltagserlebnisse, Gespräche mit einfachen Menschen und mit führenden Persönlichkeiten in Politik, Religion oder Denkmalschutz mit Wissen um philosophische, kulturgeschichtliche und religiöse Hintergründe. Gerne beginnt er die Kapitel mit provokanten Fragen wie „Wer war Jesus und wenn ja, wie viele?“ beim Abschnitt über die antike Weltstadt Ephesus (Seite 311), die heute in der Türkei liegt. Die Felsenstadt Petra in Jordanien erhält den Beinamen „Atlantis der Wüste“ (Seite 99).

Manchmal sprengt die Informationsdichte die aufmerksame Lektüre und die Konzentration auf rasch wechselnde Buchinhalte, zum Beispiel, wenn man versucht, die auf einer halben Seite zusammengefassten Gedanken antiker Philosophen oder islamischer Gelehrter zu verstehen und auf das zu beziehen, was Gerlach unmittelbar zuvor im Orient des Heute beschrieb. Im ersten Augeschein wirkt das Buch überladen mit Namen von Personen, Volksgruppen und philosophischen Begriffen. Doch weiterführende Informationen aus Enzyklopädien, dem Internet oder den vielen angegebenen Quellen lassen beim Lesen mit Gewinn für die eigene Erkenntnis abdriften in den geistigen Reichtum des Orients. Wer dann wieder zur Lektüre des faszinierenden Buchs von Daniel Gerlach zurückkehrt, wird auf der Entdeckungsreise zu den Wurzeln unserer Kultur reich beschenkt werden.

(Wolfgang Moser; 10/2023)



Daniel Gerlach: "Die letzten Geheimnisse des Orients"
C. Bertelsmann Verlag, 2022. 365 Seiten.

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