Douglas Preston: "Die Stadt des Affengottes"
Eine unbekannte Zivilisation, ein mysteriöser Fluch, eine wahre Geschichte
Abenteurer,
          Entdecker und Wissenschaftler: Die Suche nach der Ciudad Blanca und
          einer untergegangenen Kultur im Regenwald von Honduras
        
        Februar 2015, mitten in einem der unzugänglichsten Teile des
        Regenwaldes in Honduras. "Im Zwielicht des Waldes nahmen die
          von Moos überwachsenen und zwischen Blättern und
          Ranken hervorlugenden Steine allmählich die Form von
          auffällig behauenen Skulpturen an." Ein
        zähnefletschender Kopf eines Jaguars, ein mit einem Geierkopf
        verzierter Topf, mit Schlangen verzierte
        Steingefäße. Die Expedition hat ihr Ziel erreicht.
        Nach jahrelanger Vorbereitung fanden die Teilnehmer nun die
        Überreste einer um 1500 untergegangenen hochentwickelten
        Kultur.
        
        Jahrhundertelang wurde an der Legende der Ciudad Blanca, der
        Weißen Stadt, gesponnen, die in einem entlegenen und
        unberührten Regenwaldgebiet von Honduras, der Mosquitia,
        liegen sollte. Gemunkelt wurde von weißen Mauern,
        prachtvollen Tempeln, Goldschätzen und einem Fluch, der keinem
        eine Rückkehr ermöglichen würde. Ebenso
        lange suchten Abenteurer nach dieser geheimnisumwehten Stadt. Immer
        wieder berichteten Forscher und Piloten davon, im Urwald der Region
        eine große Stadt gesichtet zu haben.
        Seit den 1920er-Jahren gab es mehrere privat finanzierte und
        aufwändig organisierte Expeditionen, die zwar
        Kunstgegenstände zutage förderten, nicht aber diese
        legendäre Stadt. Zudem entpuppten sich manche Forscher als
        Goldgräber und Schatzsucher oder als fantasiebegabte
        Geschichtenerzähler. Aber ihre vermutete Lage in diesen
        unwirtlichen Regenwäldern mit ihrem Dornengestrüpp,
        den Giftschlangen, Moskitos, die mit dem Malaria- oder
        Dengue-Fieber-Erreger infiziert sind, Skorpionen, giftigen Ameisen und
        nicht zuletzt Sandmücken schützte sie vor ihrer
        Entdeckung. Zudem ist die Region bekannt als Rückzugsgebiet
        von Drogenkartellen.
        
        In den vergangenen Jahren schließlich machten sich die
        US-amerikanischen Dokumentarfilmer Steve Elkins und Bill Benenson auf
        die Suche nach der verlorenen Stadt. Für ihr Projekt bekamen
        sie anno 2012 Hilfe von der Universität Houston, Texas: Eine
        Cessna mit einer speziellen Laserkamera überflog ein
        kraterähnliches Tal im Nordosten des honduranischen
        Regenwaldes und schoss Bilder. Die Analyse der Luftaufnahmen ergab,
        dass das Gelände fast völlig von Menschenhand
        gestaltet worden war.
        
        Für Elkins, den Initiator, ein wichtiger Schritt
        vorwärts: "Als ich die ganzen Rechtecke und
          Plätze gesehen habe, habe ich eine unglaubliche Befriedigung
          gespürt." In einer Bodenexpedition anno 2015
        sollten diese Ergebnisse verifiziert werden. Mit dabei war neben
        Archäologen und Kameraleuten auch der Journalist Douglas
        Preston, der für "National Geographic" berichten sollte, und
        nun ein Buch darüber veröffentlicht hat.
        
        Lebendig und spannend, wenn auch sehr detailverliebt, berichtet Preston
        von diesen archäologischen Expeditionen, an denen er
        teilnehmen konnte.
        Er erzählt von den Anstrengungen, sich im Regen durch den
        Urwald zu kämpfen und zu versuchen, all das
        aufzuspüren, was auf den Luftaufnahmen zu sehen war.
        Überwältigend sowohl die Schönheit der
        unberührten Natur als auch ihre Feindseligkeit.
        Es ist die perfekte Angelegenheit für einen abenteuerlichen
        Sachbuchthriller.
        
        Prompt entdeckte das Archäologenteam dann auch eine knapp zwei
        Quadratkilometer große Siedlung, bewohnt von einer
        Zivilisation, die vermutlich mit den Maya in kulturellem Austausch
        stand - auch wenn ihre Bauten meist aus Lehm und Holz errichtet waren,
        nicht aus Stein wie die der Maya.
        Sie hinterließ
        große Steinskulpturen, aber keine Goldarbeiten. Ob das nun
        die mythische Weiße Stadt, die Stadt des Affengottes, ist?
        Preston lässt die Antwort bewusst offen. Vielmehr beschreibt
        er, was die Archäologen fanden, referiert wissenschaftliche
        Theorien zur Deutung der Bildsprache auf den Steinskulpturen und wendet
        sich der Frage zu, warum diese Zivilisation um 1500 plötzlich
        endete: Was hat es mit dem Fluch auf sich? Dem Mythos nach sind alle
        Einwohner und auch jene, die den Ort nur aufgesucht hatten,
        tödlich erkrankt. Preston hält das für
        plausibel. Er erläutert, wie ganze Völker in
        Windeseile von Infektionskrankheiten, die europäische Eroberer
        eingeschleppt hatten, ausgelöscht wurden. Oft drangen die
        Krankheiten schneller vor als die
          Eroberer. Übrig blieb nichts
        außer Steinartefakten und Grundrissen.
        
        Preston ist ein erzählfreudiger Beobachter, Berichterstatter
        und Augenzeuge, dessen Interesse weit über die eigentliche
        Expedition hinausgeht. Die Geschichte von Honduras und die von den
        Europäern eingeschleppten Infektionsepidemien, welche die
        indigene Bevölkerung und damit die alten Kulturen ausrotteten,
        sind genauso Thema wie die Geschichte der Suche nach der
        "Weißen Stadt" und aller (erfolglosen) Entdecker. Er neigt zu
        ausschweifenden Exkursen und verliert sich detailreich in allen
        Nebenthemen, die sich im Verlauf der Geschichte auftun. Dabei wird
        nicht nur die Geschichte vergangener Expeditionen aufgerollt, mit den
        Biografien ihrer Protagonisten, sondern es werden auch mit Leidenschaft
        Anekdoten über exzentrische Glücksritter
        erzählt, als wäre dies ein wesentlicher Teil der
        Erzählung.
        
        Er legt aber auch den Finger auf die Gefahren, die den
        Fundstätten drohen, wie die illegalen Holzfäller, die
        sich in den unberührten Urwald rasch hineinfressen, und
        Drogenschmuggler, die in der Abgeschiedenheit des Urwalds
        Flugplätze und Verstecke anlegen. Bei aller journalistischen
        Geschichtenerzählerei ist es aber auch ein durchaus
        beeindruckendes Zeugnis von Wissensdurst, Neugierde, Faszination,
        Leidenschaft und Besessenheit. Es gibt sie, die Leute mit Listen
        für ihren Lebensweg, wie zum Beispiel Unentdecktes zu
        erforschen, die sie unbeirrt verfolgen und in die Tat umsetzen. Ihnen
        ist die Entdeckung und Entschlüsselung mancher Geheimnisse zu
        verdanken. Die Rekonstruktion untergegangener Kulturen obliegt dann
        meist der professionellen Wissenschaft.
        
        "Sie kamen, und die Blumen verwelkten". So ein
        zeitgenössischer Bericht aus dem 16. Jahrhundert über
        die Ankunft der europäischen Eroberer, die Krieg und
        Krankheiten, Verwüstung und Epidemien mit sich brachten. Heute
        ist für Honduras wie für den Rest der Welt die
        Legende und das Wissen von der Weißen Stadt und über
        die prähispanische Geschichte eine direkte Verbindung zu einer
        reichen, komplexen und erinnerungswürdigen Vergangenheit.
(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 10/2017)
Douglas
            Preston: "Die Stadt des Affengottes. Eine unbekannte
          Zivilisation, ein mysteriöser Fluch, eine wahre Geschichte"
        (Originaltitel "The Lost City of the Monkey God")
        Übersetzt von Jürgen Neubauer.
        DVA, 2017. 380 Seiten mit Abbildungen.
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