Anders Winroth: "Die Wikinger"
Das Zeitalter des Nordens
Wem
        traut man es zu, ein gutes Buch über Wikinger zu schreiben,
        wenn nicht einem Professor für mittelalterliche Geschichte,
        der zudem auch noch Schwede und somit möglicherweise ein
        direkter Nachfahre dieser Nordmänner ist. Anders Winroth packt
        das Thema mutig an, fasst Bestehendes zusammen und leitet seine eigenen
        Schlussfolgerungen ab.
        
        In seinem Buch "Die Wikinger. Das Zeitalter des Nordens" spannt Winroth
        einen weiten Bogen von der kriegerischen Macht über die
        Abenteuerlust als Händler und Entdecker bis hin zum
        Alltagsleben zu Hause sowie Kultur und Religion. Dabei stellt er sich
        den Klischees, wie z.B. der extremen Gewaltbereitschaft der
        Nordmänner, deren Götter auch Kriegsgötter
        waren.
        
        Um mit einem Beispiel zu beginnen. Die Wikinger waren mehr
        Räuber 
	als Soldaten. Sie gingen auf Raubzüge aus.
        Dank ihrer schnellen Boote tauchten sie wie aus dem Nichts auf,
        plünderten, mordeten, versklavten und verschwanden, bevor sich
        noch irgendwelche militärischen Einheiten sammeln und
        zurückschlagen konnten. Das war ihre Spezialität.
        Dabei gingen sie brutal vor, da sie keine Gnade kannten. Soweit die
        Berichte, die meist von Kirchenmännern geschrieben worden
        waren. Winroth fügt relativierend hinzu, dass die Wikinger
        zwar brutal, jedoch auch nicht brutaler als andere
        kriegführende Machthaber dieser Zeit waren. Denken wir dabei
        an Karl
          den Großen, einen getauften Christen, der gnadenlos
        die Sachsen niedermetzelte, als diese Widerstand leisteten. Vermutlich
        waren die Berichte der Geistlichen so ungünstig den Wikingern
        gegenüber, weil diese die Kirchen weniger verschonten bzw.
        sogar als leichte Beute besonders bevorzugten.
        
        Als besondere Eigenschaft der Wikingermentalität ist ihre
        Abenteuerlust und ihr Wagemut als Entdecker und Händler
        hervorzuheben. So schafften sie es, Island,
        Grönland und sogar Nordamerika auf ihren kleinen, aber doch
        sehr hochseetauglichen Schiffen zu erreichen. Und nicht alle Wikinger
        gingen auf Raubzüge. Viele verließen ihre Heimat auf
        der Suche nach neuem Land, um zu siedeln, um Viehzucht zu betreiben.
        Die freien Männer waren Krieger, aber auch Bauern. Und sie
        waren Händler. Als solche reisten sie bis in die arabische
        Welt, bis nach Konstantinopel, Russland und in die westliche
        christliche Welt. Und sie handelten mit allem, was Gewinn brachte, bis
        hin zu Sklaven, oder sie wurden Söldner, bekannt für
        ihren Mut und ihre Treue.
        
        Winroth zeichnet auch gut die Entwicklung nach, die aus einer Region
        mit vielen Sippen und Stämmen mit der Zeit
        Königreiche machte. Eine gesellschaftliche Entwicklung, die
        unaufhaltsam von kleineren Strukturen zu größeren
        führt. Zuerst bestand die Ordnung aus Häuptlingen und
        Stammesführern, die weniger durch ihre Abstammung an die Macht
        kamen, als vielmehr durch die Fähigkeit, gute
        Gefolgsmänner durch Großzügigkeit an sich
        zu binden. Dabei hingen kriegerischer Erfolg und die
        Möglichkeit, großzügig zu sein, eng
        miteinander zusammen. Denn das Land allein gab zu wenig her, um diese
        Kriegerscharen zu befriedigen. Wer also Krieger an sich band, der
        musste auch für entsprechende Beute bei Raubzügen
        sorgen.
        
        Spannend wird, wenn wir sehen, wie die durch Krieg und Gewalt
        mächtig gewordenen Führer sich mit der damals noch
        sehr zentral organisierten Kirche verbündeten, ihre alten
        Kriegsgötter aufgaben und sich des christlichen Glaubens
        bedienten, um ihre immer größer werdenden Reiche und
        ihre Machtposition zu stabilisieren, die Königswürde
        erblich zu machen, um sie ihren Söhnen zu vererben. Um diese
        großen Reiche zu verwalten, bedurfte es erfahrener
        Männer. Und dies waren die Kleriker, die bereits fast tausend
        Jahre Erfahrung darin hatten und die Kirchengüter erfolgreich
        bewirtschafteten.
        
        Nichts Anderes also als das Nachzeichnen des Prozesses der
        Zivilisation, dem auch die Wikinger nicht auskamen (bzw. auskommen
        wollten). So wurden aus den ungestümen Raubärten
        zivilisierte und besser organisierte Menschen des Mittelalters.
        Skandinavien war nicht länger die Region, aus der die Wilden
        des Nordens einfielen, sondern ein Teil des christlichen Abendlandes
        mit seinen gottgewollten Königen und den
        Kirchenmännern als zweitem Machtapparat in der Gesellschaft.
        Die einst stolzen und freien, durch die
        Großzügigkeit des Führers an diesen
        gebundenen Krieger wurden zu Dienern des Königs, wie die
        Kirche alle Menschen als Diener Gottes sah. Das recht fragile System
        der lockeren, aber doch treuen Beziehungen zu den
        Stammesführern wurde durch das stabilere Lehenssystem des Mittelalters
        ersetzt.
        
        Wie wir sehen, handelt es sich um ein Buch, das sich einer spannenden
        Epoche der europäischen Geschichte widmet. Winroth gebraucht
        dabei einen Stil, mit dem er eine Brücke zwischen einem
        populärwissenschaftlichen und einem wissenschaftlichen Werk
        schlagen zu wollen scheint. Leider gelingt es ihm damit nicht,
        ausreichend Spannung aufzubauen, den Leser im Lesefluss zu halten.
        Während seine freien Zusammenfassungen und Interpretationen
        gut und flüssig zu lesen sind, sind jene Textteile, die
        vorangehen und sich sowohl auf alte als auch zeitgenössische
        Schriften beziehen, manchmal holprig und oft auch repetitiv.
        
        Jedoch macht er diese Schwäche mit einer Fülle an
        Geschichten, Daten und Zitaten wieder wett, sodass der Leser ein gutes
        und zum Teil korrigiertes Bild der Zeit dieser Nordmänner und
        ein wenig auch der Nordfrauen gewinnt.
(Hans-Peter Oberdorfer; 08/2016)
Anders
          Winroth: "Die Wikinger. Das Zeitalter des Nordens"
        (Originaltitel "The Age of the Vikings")
        Übersetzt von Susanne Held.
        Klett-Cotta, 2016. 368 Seiten.
        
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Noch
          ein Buchtipp:
          
          Rudolf Simek: "Vinland! Wie die Wikinger Amerika entdeckten"
        "Sie kamen zu einer Insel, die nördlich des Landes
          lag und gingen dort hinauf und sahen sich bei gutem Wetter um. Sie
          fanden Tau auf dem Gras und berührten als Erstes mit den
          Händen den Tau und führten ihn zum Mund und dachten,
          noch nie etwas Süßeres gekostet zu haben."
        So wird in der "Grænlendinga Saga" die Ankunft
der
          Wikinger in Amerika beschrieben. Rudolf Simek
        erzählt hier die Geschichte dieser Entdeckungsreise und
        schildert, wie deren archäologische Spuren im 20. Jahrhundert
        wiederentdeckt wurden. Was trieb die Wikinger rund 400 Jahre, bevor
        Christoph Kolumbus in die Neue Welt aufbrach, zu ihrer
        gefährlichen Reise durch das Nordmeer? Abenteuerlust, Mangel
        an wichtigen Rohstoffen und Nahrungsquellen? Woher stammten diese
        Entdecker überhaupt, die wir recht unpräzise mit dem
        Begriff "Wikinger" bezeichnen, und welche Quellen erzählen
        ihre Geschichte(n)? Diesen Fragen geht der renommierte
        Wikinger-Forscher Rudolf Simek hier nach. Darüber hinaus
        erklärt er, wie die Boote der Wikinger beschaffen waren,
        schildert das nautische Wissen und die Weltvorstellungen der nordischen
        Seefahrer und erzählt, wie 1961 das norwegische Ehepaar Helge
        und Anne Stine Ingstad bei L'Anse aux Meadows an der Küste von
        Neufundland auf die archäologischen Reste der
        Wikinger-Expedition stieß. Ein unterhaltsames Kapitel
        über falsche nordamerikanische Wikinger, über die man
        in den USA so lebhaft fantasierte, dass man sich regelrechte "Viking
          Hoaxes" schuf, beschließt das Buch. (C.H. Beck)
        
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