Saša Stanišić: "Fallensteller"


Und wieder grüßt die Uckermark

Nachdem man nach "Wie der Soldat das Grammofon repariert" sehr lange auf einen Nachfolger warten musste, ist die Zeitspanne zwischen "Vor dem Fest" und "Fallensteller" erfreulicherweise deutlich geringer ausgefallen.

Dieser Erzählungsband ist nun eine überaus erfreuliche Veröffentlichung geworden. In zwölf stilistisch sehr unterschiedlichen Erzählungen werden ebenso unterschiedliche Figuren virtuos in Szene gesetzt.

Auch eine Rückkehr nach Fürstenfelde, dem Uckermärkischen Dorf, das mehr oder weniger der Hauptprotagonist des erfolgreichen Romans "Vor dem Fest" war, gibt es. Dort treibt sich ein Wolf herum. Das verunsichert und ängstigt die dörfischen Viehzüchter, die sich genötigt sehen, einen Fallensteller zu holen, der für Ordnung sorgen soll. Der Fallensteller selbst ist allerdings ein, im wahrsten Sinne des Wortes, schräger Vogel, ja gar so etwas wie ein Schamane, der nicht nur in teilweise absurden Reimen spricht, sondern letztendlich für noch mehr Unruhe im Dorfleben sorgt, um schließlich auch viel Gutes zu erreichen. Gerade in dieser Erzählung zeigt sich Saša Stanišić von seiner politischen Seite, er nimmt, wenn auch recht direkt, Stellung, und lässt keine Zweifel daran, dass er hier die Parallelen zur heutigen Lage Europas zieht. Das Vorgehen der Dorfbewohner erinnert in vielen Punkten mehr an die "besorgten Bürger" unserer Zeit, als an Viehzüchter, die wirklich Sorge um ihr Vieh haben. Ein fast märchenhafter Ton, der immer wieder in einen realistischen Erzählduktus abschweift, gewürzt mit einer Prise schelmischen Humors, ist hier das Rezept.

In anderen Erzählungen widmet sich Saša Stanišić den inneren Konflikten des Brauerei-Justiziars Georg Horvath. Da wird beispielsweise eine Geschäftsreise nach Brasilien geschildert, die einer tatsächlichen Irrfahrt gleicht. Horvath steckt in einer tiefen Krise, die Sprache scheint ihm abhanden zu kommen, übliche Redewendungen lösen sich in Luft auf, und zweifelsfrei harmlose Wörter lösen regelrechte Psychosen aus. Natürlich scheitern seine Versuche, Problemen und unangenehmen Begegnungen aus dem Weg zu gehen, indem sie genau die gegenteilige Wirkung haben. In Brasilien erinnert er sich an einen kafkaesken Aufenthalt in einem Bukarester Kongresshotel, wo er sich seinerseits auf eine literaturwissenschaftlichen Tagung verirrt hatte. So erfindet er rumänisch inspirierte Wörter wie "kafkaeskul". Georg Horvat ist jedenfalls ein Charakter, der wahrscheinlich sogar das Potential zu einem ganzen Roman hätte.

Die vielleicht stärkste Erzählung "Die Fabrik" ist gleichzeitig auch der kürzeste Text in dieser Sammlung. Ein irgendwo in den bosnischen Bergen im Schnee steckengebliebener Mann wird von Männern in Trainingsanzügen gerettet, die sich als Hirten erweisen. Sie nehmen sich seiner an, und so lernt er ihren Lebensmittelpunkt kennen, nämlich eine Ruine, in der sich eine mit EU-Geldern gebaute Sprudelfabrik befindet.

Andere Erzählungen, wie die Geschichte eines alten Mannes, der nach einem halben Jahrhundert als Holzarbeiter als Zauberer debütiert, muten wie nicht ganz ausgereifte Texte an, die möglicherweise ursprünglich andere Formen annehmen hätten sollen. Generell ist Stanišić dort am stärksten, wo er den realistischen Erzählduktus verlässt und die Form durchbricht. Seine Prosa ist mutig und riskiert immer wieder viel, weil er aufs Ganze geht. Dass das nicht immer gelingt, ist jedenfalls mehr als verzeihlich. Selbst dem Meister der Kurzgeschichte schlechthin, Ernest Hemingway, ist nicht jede Erzählung so gelungen, wie "Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber", die der Rezensent für die wahrscheinlich gelungenste Erzählung überhaupt hält.

Sehr erfreulich ist, dass die Erzählungen dieses Autors wenig bis gar nichts von der ich-bezogenen, so modischen Prosa unserer Zeit haben und sich mit unterschiedlichsten Ideen und Lebensweisen beschäftigen, in die der Leser für jeweils unterschiedlich lange Zeit höchst interessiert abtauchen kann. Dass immer eine gehörige Portion Ironie und Humor zugegen ist, ohne dass die Geschichten ins Lächerliche oder Ulkige abdriften, ist gleichermaßen erfreulich.

Saša Stanišić beweist jedenfalls, dass er in der Kurzform ebenso zuhause ist wie im Roman. Er beweist, dass die Hoffnung, die man seit "Wie der Soldat das Grammofon repariert" gehegt hat, längst übertroffen wurde und er einer der interessantesten jüngeren deutschsprachigen Autoren ist.

Starke Empfehlung.

(Roland Freisitzer; 06/2016)


Saša Stanišić: "Fallensteller"
Luchterhand, 2016. 279 Seiten.
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