Jane Gardam: "Letzte Freunde"


Abschluss der "Old Filth"-Trilogie

Jane Gardams "Old Filth"-Trilogie ist ein großartiger Zyklus von Romanen, der sich mit der britischen Kolonialherrschaft beschäftigt. Nach "Ein untadeliger Mann", in dem das Leben des Raj-Waisen und späteren berühmten Anwalts in Hong Kong, Edward Feathers, erzählt wurde, folgte "Eine treue Frau", worin Edward Feathers' Frau Betty im Mittelpunkt stand. Interessanterweise erzählt Jane Gardam in beiden Romanen mehr oder weniger dieselbe Geschichte. Allerdings, betrachtet aus unterschiedlichen Perspektiven. Genau das ist der Moment, der diese Geschichte von Liebe, Untreue, Durchhaltevermögen und dem Leben im turbulenten zwanzigsten Jahrhundert während des langsamen Abgesangs der "British Crown" so faszinierend macht. Die Einblicke und Erkenntnisse, die sich aus dieser Konstellation ergeben, zeigen, wie unzuverlässig ihre Protagonisten in Wahrheit sind. So entsteht ein wahrhaft lebendiges Bild, das viel mehr ist als das Porträt einer Dreiecksgeschichte.

Beide Vorgänger könnte man, ebenso wie den abschließenden Teil "Letzte Freunde", natürlich auch als selbstständige und für sich stehende Romane lesen. Man fiele nur um die Vielschichtigkeit der Sichtweisen um, läse man nur den einen oder anderen Teil.

Da also bereits Edward und Betty ihre Auftritte hatten, darf nun auch Terry Veneering, der absolute Erzfeind Edwards, als letztes Glied der Dreiecksgeschichte seinen Moment haben. Während alle also in den früheren Romanen bereits ein oder zwei Mal verstorben sind, tauchen sie in Rückblenden hier wieder auf.

Edward ist der Sohn eines Kolonialbeamten, ein feiner Gentleman, nobel, distinguiert, still und immer darauf bedacht, vornehm zu wirken, Terry Veneering das absolute Gegenteil. Der Sohn eines russischen Zirkustänzers und einer Kohlenhändlerin ist ein Lebemann, ein Dandy, der selbst mit der vermeintlich schönsten Frau Hong Kongs verheiratet ist. Nachdem der Vater auf Tournee mit dem Zirkus verunglückt, opfert sich die Mutter bereitwillig auf, um ihrem strahlenden und feschen Sohn jene Möglichkeiten zu bieten, die sie nie hatte. Veneerings Persönlichkeit ist daher leicht von einer Art "Neureichtum" geprägt, was ihn aber offensichtlich bei Frauen besonders beliebt macht. Bei seinem Kontrahenten in Hong Kong dafür gar nicht. Nichtsdestotrotz verbindet Terry und Betty eine lebenslange Liebe, die, wenn sie sich überhaupt abspielt, immer im Verborgenen bleiben muss.

Auch wenn Jane Gardam hier viele Ereignisse bereits zum zweiten oder gar dritten Mal erzählt, ist die neue Erzählperspektive, die sich nun ergibt, reich an zusätzlichen Informationen, sodass sich fast nie Ermüdungserscheinungen einschleichen.

Endlich erfährt man Details, die bisher im Verborgenen geblieben sind. Virtuos verschachtelt sind die Rückblenden zu einer kohärenten Erzählung, die außerdem noch die Verwandtschaft in Dorset miteinbezieht. Zwischen dem Ende des zwanzigsten Jahrhunderts und der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg pendelnd, ergibt sich ein mit britischem Humor gespicktes Gesellschaftsbild, das man gerne liest. (Selbst-)Ironie, ebenso wie subtil versteckte Kritik am sozialen Gefüge des großen Königreichs und in den Kolonien, die unter britischer Krone liefen, ergeben so ein wirklich stimmiges Gesellschaftsbild.

Nichtsdestotrotz, wie so oft in mehrteiligen Romanzyklen, tauchen an der einen oder anderen Stelle leichte Ermüdungserscheinungen auf, die selbst eine brillante Erzählerin wie Jane Gardam nicht ganz in den Griff bekommt. Zu sehr steht an der einen oder anderen Stelle eine Geschichte im Vordergrund, die man entweder bereits zu gut zu kennen meint, oder auch eine Geschichte, die ganz leicht den Anschein von Klatsch und Tratsch erwecken kann. Vielleicht wäre eine Reduktion der Mittel im Schlussteil besser gewesen als ein perfekt konstruierter Zuwachs an Protagonistinnen und Protagonisten, die sich aus dem Umfeld und der direkten Verwandtschaft rekrutieren.

Diese kleine Kritik soll den Wert der gesamten Trilogie, die zur Gänze kongenial von Isabel Bogdan übersetzt worden ist, definitiv nicht mindern. Es ist eine wahre Freude, dass Jane Gardam, die abgesehen von der Trilogie genügend andere, wirklich ausgezeichnete Romane (wie z.B. "Crusoe's Daughter", "God on the Rocks", "The Pangs of Love" oder "The Summer after the Funeral") geschrieben hat, endlich im deutschsprachigen Raum angekommen zu sein scheint. Der Rezensent hegt die Hoffnung, dass Hanser auch weitere Romane der "Grande Dame" der britischen Literatur folgen lässt und Isabel Bogdan weiterhin für die Übertragung dieser ausgezeichneten Literatur ins Deutsche verpflichtet werden kann.

(Roland Freisitzer; 11/2016)


Jane Gardam: "Letzte Freunde"
(Originaltitel "Last Friends")
Übersetzt von Isabel Bogdan.
Hanser Berlin, 2016. 237 Seiten.
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