Jürgen Glocker: "Q Fotos und Haiku"


Ihr Gesicht im Spü-
licht der Gasse, zittert, so
schrecklich nah, so fern.

Die Ermordung des
Großvaters: Musste er ins
Gas? Genickschuss? Gift?


Sanfte Blicke unter Seidenwimpern. Tastende Nüstern. Die Apokalypse zögert.


Nach seinen beiden Romanen "Carlo oder über den Umgang mit Katzen, Menschen und Büchern" (2005), der Geschichte eines bibliophilen Katers, der wie ein Irrwisch durch die Literaturgeschichte springt, und "Madame Bovary und ihre Wiener Affäre" (2010), in dem der Autor nicht nur die Protagonisten von Flauberts "Madame Bovary" und Stifters "Nachsommer" in zweifacher Hinsicht vom Weg abkommen und sich in eine fatale Liebesgeschichte verstricken lässt, hat sich Glocker nunmehr ins Lyrische gewagt, und wie sich herausstellt, entpuppt sich sein schmaler Band als Glück für den Leser.

"Q" hat er dieses Kleinod genannt, eine lautmalerische Hommage an die alte japanische Tradition des Haiku und an die sanften Riesen seiner Schwarzwälder Wahlheimat, an deren südlichster Peripherie er lebt. Gegen den Strich gebürstet hat er seinen Gedichtband, hat das subtile Grauen unserer Epoche und deren banale Rituale in die klassischen fünf-sieben-fünf-hebigen Verse gekleidet, die seit dem 13. Jahrhundert und besonders nach der Erneuerung der alten Gedichtform unter Matsuo Bashō (1644-1694) das Wesen dieser kürzesten Gedichtform in der Lyrik ausmachen. Und er hat den Frieden in den Blicken der Kühe in Wanderungen am Feldberg abseits der touristischen Trampelpfade mit der Kamera eingefangen, doch auch den gelegentlichen Furor, der den Stieren während der Hitze ins Gesicht geschrieben steht. Der Autor nimmt hier ein uraltes Motiv wieder auf, das schon den Hörer von Homers Odyssee faszinierte, als er der "glaukopis Athene" begegnete, der eulenäugigen Göttin, die Schönheit, Wissen und Frieden in sich vereinigte, aber auch hart und grausam sein konnte wie die kreatürliche Welt, in der wir uns trotzdem verlieren möchten.

Eine kontrapunktische Gegenwelt zur Furcht, die das Herz erfasst, seit der Mensch sich in der Nachfolge des Listenreichen, des ersten modernen Menschen, wiedererkannte, weil er als Individuum handelte und nicht mehr als hilfloser Spielball göttlicher Launen. So entstand bei Glocker ein schillerndes Panoptikum und gleichzeitiges Inferno ineinandergreifender Verse und Bilder, das man zuerst doch so naiv zur Hand nimmt in der brüchigen Gewissheit, das Gute und Schöne wie das Böse und Hässliche fein säuberlich getrennt zu sehen. So ist ein Kleinod entstanden, das mehr in sich ver-dichtet als die kaum hundert Seiten erwarten lassen.

(Horst Boxler; 01/2012)


Jürgen Glocker: "Q Fotos und Haiku"
Edition Isele, 2012. 96 Seiten.
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