Christian Petz, Herbert Lehmann: "Die neue Wiener Küche"
Schnecken, Kutteln und
          Ochsenschwanz. Neue Wiener Genüsse.
        
        Die traditionelle Wiener Küche besteht bekanntlich nicht nur aus Wiener
        Schnitzel und Gulasch. Sie ist ein kulinarisches Produkt der Monarchie,
        das sich unter den vielfältigen
          Einflüssen der Reichsteile wie Böhmen und Ungarn, ja selbst
        Norditalien zu einer Stilmischungs bzw. Fusionsküche entwickelte und die
        in ihrem Kern nach wie vor die heutige Wiener Alltagskultur bestimmt.
        Vieles ist im Laufe der Zeit allerdings auch verlorengegangen.
        Nahrungsmittelvorkommen und sozioökonomische Gegebenheiten änderten
        sich, und nicht zuletzt der Geschmack. Man mag es ja kaum glauben, aber
        im mittelalterlichen Wien waren tatsächlich Krebse ein
        Volksnahrungsmittel - weit entfernt von dem heute eher exotischen
        schwedischen Krebsessen bei "Ikea". Ebenso waren Schnecken bis um 1900
        weit verbreitet, gleichfalls Froschschenkel. Galten doch Krustentiere,
        Schalen- und Weichtiere nicht als "Fleisch" im eigentlichen Sinne, und
        daher als bestens geeignet, um die Fastenspeisenzettel aufzubessern.
        Aber auch Wiener Hausmannskost für Festtage, wie sie noch Mitte des 20.
        Jahrhunderts üblich war, wird nur mehr selten angeboten.
        Kalbsnierenbraten, gefüllte Kalbsbrust, eingemachtes Kalbfleisch sind
        kein Thema mehr. Anderes wiederum ist erfreulicherweise "unmodern"
        geworden. Das Gemüse wird nicht mehr eingebrannt und zu Tode gekocht,
        sondern (meist) mediterran zubereitet. Esskultur jedenfalls ändert sich
        ständig, nimmt Neuartiges auf und vergisst manch Altes, schafft
        Traditionen und komponiert neue Schöpfungen.
        
        Wenn ein kreativer Spitzenkoch sich dieser Neuerung und Modernisierung
        annimmt, dann sind spannende Experimente angesagt. Eine "Neue Wiener
        Küche" lautet der Plan von Christian Petz, einem der renommiertesten
        österreichischen Köche. Nach Stationen auf Sylt, in Lech und München
        wurde der Schüler Witzigmanns anno 2002 zum "Koch des Jahres" gewählt
        und werkte erfolgreich in Wien im "Palais Coburg" und bei "Meinl" am
        Graben. Zurzeit betreibt er das Restaurant "HolyMoly" auf dem Badeschiff
        am Wiener Donaukanal, aus dessen Repertoire auch einige der Rezepte
        stammen. Ihre Devise: Innovation plus Tradition auf höchstem Niveau.
        
        Das Neue an der Wiener Küche von Christian Petz tritt schon allein beim
        Lesen fulminant auf. Unerschrocken wird Bekanntes mit Neuem kombiniert,
        es wird fusioniert und ohne Unterlass, ja ohne Atemholen pure
        Originalität herbeigezaubert. Natürlich klingt es spannend, ein
        Kalbsbeuschel mit Pulpo zu kombinieren oder Rotkraut mit Kumquats. Aber
        gelegentlich auch ein bisschen aufdringlich, weil hier das Gewollte, das
        Konstruierte doch stark in den Vordergrund tritt.
        
        Auch wenn die Kreativität noch so überwältigend ist, für den Hobbykoch
        gibt es nach Meinung der Rezensentin noch andere Kriterien, nach denen
        man sich Rezepte zum Nachkochen aussucht. Zum Beispiel eine gewisse
        Einfachheit in der Ausführung. Christian Petz ist sicher ein wunderbarer
        Koch, aber glaubt er wirklich, dass Mann und Frau zu Hause stundenlang
        in der Küche stehen, um einen Kalbskopf zu kochen? So ein Riesenstück
        von Kopf (Kälber sind groß!) überhaupt erst einmal zu besorgen, nach
        Hause zu tragen, ihn dann zu putzen, 6 Stunden zu wässern, dann 1 Woche
        zu pökeln, wieder 2 Stunden zu wässern und schließlich weitere 2 Stunden
        zu kochen? Dann, hurra, vom Knochen lösen, mit einer ebenfalls gekochten
        und abgezogenen Kalbszunge rollen, kalt stellen, um ihn dann irgendwann
        in dünne Scheiben zu schneiden, mit einer Vinaigrette zu marinieren und
        sich und seinen Gästen dieses als Vorspeise zu servieren?
        
        Klar, es scheint für Christian Petz eine besondere Herausforderung zu
        sein, ganz besondere Zutaten unter den vergessenen neu zu entdecken.
        Nicht gängige Innereien wie Leber und Nieren, die ja auch kaum mehr
        gegessen werden, finden sein Interesse, sondern das für uns
        Außergewöhnliche steht im Mittelpunkt. So gibt es eine Reihe von
        Rezepten mit Schnecken, wie Schneckeneierspeis und Schneckenkipferl,
        Kuttel in verschiedenen Zubereitungsarten, Milz wird zu Milzravioli
        verarbeitet und Hühnermägen werden zu Morchelrisotto gereicht.
        
        Aber abgesehen von der Exotik und Umständlichkeit mancher Gerichte gibt
        es auch sehr viele verlockende Vorschläge, die auf machbare Art und
        Weise Altes neu denken. Marchfelder Spargel mit
        Räucherforellenvinaigrette klingt einfach verführerisch, genauso wie
        Karpfen auf Radigemüse oder Zander mit Schwarzwurzeln. Attraktiv
        erscheint der Rezensentin auch, den altbekannten Spinat mit Spiegelei
        als Cremespinat mit Rahmravioli und pochiertem Ei neu zu erfinden, oder
        das Krautfleisch als Szegedinerkraut mit Hendlbrust und einen Rostbraten
        mit Kürbis zu kombinieren. Leider sind beim ersten Nachkochversuch die
        Topfenknöderl gnadenlos zerfallen ..., aber die Kohlrabi waren
        exzellent.
(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 10/2011)
Christian Petz, Herbert Lehmann
          (Fotografien): "Die neue Wiener Küche"
        Brandstätter Verlag, 2011. 192 Seiten.
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 Weitere Kochbuchtipps:
          
          Sarah Wiener:
          "Herdhelden"
        Das Beste aus Österreichs Küchen, neu entdeckt von Sarah Wiener.
        Sarah Wiener kehrt zu ihren Wurzeln zurück: Auf der Reise durch ihre
        Heimat Österreich trifft sie Köchinnen und Köche, die Tag für Tag das
        Beste aus frischesten regionalen Zutaten machen - nach dem Motto:
        einfach und gut, raffiniert, aber nicht kompliziert. In Dorfgasthäusern
        und Almhütten, auf Bauernhöfen genauso wie im alten Wiener Stadtpalais
        hat sie ihre Herdhelden gefunden. Die haben sie in die Töpfe schauen
        lassen und ihre Rezepte weitergegeben. Zusammen mit Sarah Wieners
        eigenen Lieblingsrezepten ist daraus ein echt österreichisches Kochbuch
        entstanden - neu und alt, originell und traditionell. Frisches Gemüse
        und Obst wie die köstlichen Marillen aus dem Bauerngarten, steirischer
          Kürbis und Rüben vom Feld, frische Fische aus den klaren Bergseen,
        Lammfleisch von der Alm und Wild aus den Bergwäldern kommen genauso auf
        den Tisch wie die unverfälschten Produkte aus der wilden Natur. Nicht
        fehlen dürfen natürlich Sarahs geliebte Mehlspeisen: von Strudel bis
        Mohnschupfnudeln. (Gräfe & Unzer)
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A.B.
            Bittermann, Renate Wagner-Wittula, Fotograf: Kurt-Michael
            Westermann:
            "Die Wiener Küche. Die 300 besten Rezepte"
          Fusionsküche ist heute. Multi-Kulti-Küche gab es aber auch schon
          gestern und davor. Böhmische Liwanzen, ungarisches Rindsgulyas,
          serbische Cevapcici - all diese Klassiker sind multikulturelle
          Bausteine, die im Verein mit der feinen k. u. k. Hofküche und der
          kräftigenden österreichischen Bauernkost dieses herrliche kulinarische
            Eldorado bilden, das auf der ganzen Welt als die Wiener Küche
          bekannt ist. So manche Altwiener Köstlichkeit geriet allerdings durch
          neue Essgewohnheiten ein wenig in Vergessenheit. Zu Unrecht, wie Adi
          Bittermann meint. 
          Als Urgestein der Wiener Gastronomieszene machte er sich einen Namen
          und setzt nun mehr denn je auf regionale Schmankerl. Er verrät, wie
          Wiener Küche auch heute leicht und einfach nachzukochen ist. Die
          Kochanleitungen sind klar und übersichtlich abgefasst und daher auch
          für Hobbyköche aller Geschicklichkeitsstufen leicht nachzuvollziehen.
          Exakte Angaben von Kochzeiten und Temperaturstufen sowie kreative
          Ideen für den modernen Küchenalltag machen das Buch zu einem
          unentbehrlichen Ratgeber der guten Hausmannsküche. (Pichler Verlag)
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Ingrid Pernkopf, Renate Wagner-Wittula:
              "Das große Mehlspeisenkochbuch. Warme und kalte Süßspeisen aus
              Österreich"
            Vegetarier haben es in Österreich leichter als anderswo! Bietet doch
            keine andere Landesküche eine derartig breitgefächerte Auswahl an
            deliziösen Süßspeisen wie die österreichische. Von herzhaften
            Schmarrn-Gerichten und süßen Knödeln über zart-flaumige Buchteln,
            köstlichen Dalken und Tascherln bis hin zur legendären Altwiener
            Tortenküche und zum klassischen Gugelhupf - es gibt kaum eine süße
            Versuchung, von der es keine österreichische Variante gäbe. Ingrid
            Pernkopf, die bereits zur Legende gewordene Knödel-
            und Keks-Königin aus dem oberösterreichischen Gmunden, kennt sie
            alle, jene verführerischen Rezepte, die sie nun an ihre Leser weiter
            gibt. Leicht nachvollziehbar und mit Hinweisen auf die jeweils am
            besten geeignete Mehlsorte zaubern die einfach gehaltenen Rezepte
            den österreichischen
              Mehlspeishimmel in die Küche auch nicht so geübter Hobbyköche.
            Und wer Ingrid Pernkopf kennt, weiß, dass auch diesmal mit
            wertvollen Tipps für zahlreiche Abwandlungen der vorgestellten
            Mehlspeisköstlichkeiten nicht gespart wird. (Pichler Verlag)
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 Andrea
                Karrer, Johannes Hradecny (Illustrator): "Frau Johannas
              Biedermeier-Kochbuch"
            Handschriftlich überliefert, stellt dieses Kochbuch einen Schatz
            dar: 1845 angelegt und in Leder gebunden, wurde es über mehrere
            Generationen weitergegeben. Enthalten sind mehr als hundert Rezepte
            für Suppen
            und Beilagen, Fleisch, Wild und Fischspeisen, verschiedenste Soßen
            und traumhafte Mehlspeisen. Mit genauen Anweisungen zur Zubereitung
            zeigen die Familienrezepte aus der Zeit des Biedermeier ihren
            praktischen Wert: die Kunst der traditionellen altösterreichischen
            Küche von der Mutter an die Tochter zu überliefern und über die
            Generationen als Familienschatz zu bewahren.
            Andrea Karrer stellt den traditionsreichen Rezepten neue Varianten
            gegenüber, die es einfach machen, Menüs aus alter Zeit mit den
            Möglichkeiten der modernen Küche zu verfeinern. Und sie erzählt, aus
            ihrer eigenen Familientradition schöpfend, von den
            Küchengeheimnissen alter Zeiten.
            Eine Zeitreise und ein kulinarisches Erlebnis. (Residenz Verlag)
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