Ferdinand Schmatz: "quellen"
Gedichte
Die Titelfolge: der garten
          - der fluss - der palast (palast aus sprache) - der palast (palast aus
          musik)
        
        Dass Naturgedichte der eigentlich Rückbezug auf den Menschen sind, dass
        sie auch immer wieder poetologische Grundlegungen enthalten, weil die
        Natur als Erscheinungsweise zahllose Analogien und Spiegel für die
        menschliche Weise bietet, ist nicht neu.
        Die Natur ist das Muttermotiv des Seins. Sie ist das Entstehen, das
        Geborenwerden. Natur ist der Erholungspegel des postmodernen Menschen,
        der sich im städtischen Habitus des 21. Jahrhunderts in Wirtschafts-,
        Welt- und Klimakrisen
        verloren zu haben scheint.
        
        So also greift Ferdinand Schmatz eine Welt (fast?) des Mythos auf, die
        man im alltäglichen Treiben der Medialisierung
        kaum noch (richtig) kennt. Oder ist das doch alles Unsinn, dieser ewig
        postmoderne Quatsch des verlorenen Menschen im postindustrialisierten
        Raum der Welt, gemanagt vom (Terror-)Herrscher Geld.
        Sind wir nicht letztlich ganz zahme Triebe der Natur, durch die wir uns
        einzig (er-)finden können?
        
        Wie Schmatz die Worte sich so zusammenfügen lässt, dass sie in ihrer
        Mehrdeutigkeit nebeneinander stehen und sich umeinander streiten,
        miteinander wirken, um sich gegenseitig auszuloten, macht den Betrachter
        erst einmal beschwingt.
        Im ersten Gedicht, "garten", welches den Zyklus "der garten" einleitet,
        parallelisiert der lyrische Sprecher das menschliche Zweisein mit dem
        Blühen des Gartens, der sich dem Menschen - oder dem Gefühl dieser
        Bei-Einander-Seienden (?) - "artig" ergibt.
        
        "garten / er ist, stetig, ein warten / ab so wie nie und zu vor, aber
          spät / wird er uns [...] wie boden wie erde / zu samen sich stäub ein
          den fliegen"
        
        Im Schreiben Ferdinand Schmatz’ erkennt man, dass die lose, aber dann
        doch in ihrer Typografie feste Existenz der Zeichenhaftigkeit des Wortes
        Anlass zum Schaffen gibt und somit zum Beispiel die Wiese im
        Weiterverweis zur Weise werden lässt, die "uns ein wenig gesonnt
          [stachelt]". Der Endreim flieht schon lang dem inneren Rhythmus,
        immer wieder staunt der Text über sich selbst, dass nur wenige Wechsel
        der Konsonanten oder doch der Vokale eine gänzlich andere Bedeutung mit
        sich tragen. Dass der Mensch aber die zwingende Freude, die Erholung in
        der Natur findet, das bleibt und zieht sich durch den Band, das wollen
        die Texte, die weitverweisendes Spiel auch sind, selbst - "und
          wir drauf, freuen uns unten/ am feuer oder am frost auch das knirscht".
        Die Lust am Leben, gegeben durch die Umwelt, die auch Natur
        ist.
        
        Dass aber der Text immer im Spiel bleibt, dass er die Natur in ihrer
        Zeichenhaftigkeit zu fangen versucht, die immer im Wechsel zu sein
        scheint, das lässt manchmal doch ein bisschen Wahrhaftigkeit in den
        Gedichten fehlen. Man sucht die Liebe zum wahren Sein der Natur. Man
        freut sich als Leser durchaus ob der gewitzten Wortspielereien, stellt
        sich aber die Frage, ob Bilder entstehen können, wenn das Zeichen immer
        im Vordergrund steht, so zwingend, und dann auch immer (re-)agieren
        muss.
        Zu schnell durchschaut scheinen die einzelnen Texte ob ihrer
        oberflächlichen Gleich-Funktionalität. Dabei möchte nicht verhehlt
        werden, was für eine saubere, durchdachte Struktur unter der Oberfläche
        liegt. Der Bruch des Syntagmas, die Auflösung der kennenden Struktur der
        Sprache liegt der Lyrik ja inne, hier doch, ja, doch, greift die
        Auflösung der Wörter noch weiter, Wortbausteine scheinen sich nicht in
        Satzbau-Kennungen erspürbar zu machen. Das "Ich" oder "Du" wird häufig
        einfach dazwischen gesetzt, zwischen die Natur. Die Reflexion des Selbst
        in dem Natürlichen aber bleibt.
        
        Das Postmoderne findet sich durchaus im Duktus der Texte wieder. Die
        Destruktion der Sprache also lässt sich nicht leugnen. Wir zerstreuen
        die Bedeutungen, um neue zu finden, um metaphysische Grundlegungen -
        diese ewigen Überhöhungen - wegzusprechen und im Spiel des Zeichens ganz
        nah bei der lieben Natur zu sein (?).
        
        Dass "der traurige vogel" in einem Gedicht beispielsweise, von
        Menschenhand geschaffen, nicht dem gleich kommen kann, was die Natur
        vermag, dass so die vermeintliche Fröhlichkeit der
        Wortaneinanderreihungen so interessant gebrochen wird, benickt der Leser
        und blättert weiter. Es scheint auch so manche Erlebnislyrik durch
        neologistische Wortklänge aufgebessert - "die möwe ist mückig".
        
        Am Ende dann weicht der Dichter die Sprache in das auf, was Poesie auch
        schon immer zu suchen vermochte: die Musikalität. Der Palast aus Musik
        wird durch "fragen des dichters an den musiker" ausgehöhlt. Wo
        liegt denn der Rhythmus, wo die Musikalität? Was sind nun die Klänge der
        Poesie?
        "verführung lockt / an klang im wor t/ [...] selbst, was entlärmt in
          eine art versöhnen".
        
        Dass sie also nicht aufhören soll, die Poesie, das mag man diesem
        Gedichtband entnehmen. Dass sie nach dem wohlwollenden Klang in der
        Gegenwart sucht, dass sie im Spiel des Zeichens eine Möglichkeit finden
        kann, all das mag Ferdinand Schmatz uns mit auf den Weg geben. Und
        beileibe - in aller Liebe - aufhören darf sie nicht, die Poesie.
(Christin Zenker; 06/2010)
Ferdinand Schmatz: "quellen. Gedichte"
        haymonverlag, 2010. 172 Seiten.
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