Stig Dagerman: "Schwedische Hochzeitsnacht"


"Ganz egal, hier in der Gegend war es immer dasselbe: Ideen und Verrücktheiten." (Aus dem Roman)

Der schwedische Schriftsteller Stig Dagerman, dessen letzter Roman "Schwedische Hochzeitsnacht" hier in der bibliophilen Ausgabe der "Anderen Bibliothek" des Eichborn Verlags wieder einem größeren Leserkreis zugänglich gemacht wird, galt nach dem Zweiten Weltkrieg als die große Hoffnung der schwedischen Literaturszene. Doch der junge Schriftsteller litt an einer sich heute immer weiter ausbreitenden Krankheit: Er hatte Angstzustände und Depressionen, derer er einfach nicht Herr werden konnte, und für die es damals nicht die richtigen Medikamente gab.

Und so setzte der 1923 Geborene im Alter von nur 31 Jahren anno 1954 seinem jungen Leben ein Ende, nachdem er es schon vorher mehrfach vergeblich versucht hatte. Vier Romane hatte das große Schriftstellertalent in der Zeit zwischen 1945 und 1949 veröffentlicht, der vorliegende Roman "Schwedische Hochzeitsnacht" war sein letzter.

Und die Düsternis seiner Seele spiegelt sich auch in seinem letzten Buch wider. Es spielt im schwedischen Dorf Fuxe. Dort soll die schwangere Hildur den Metzger Westlund heiraten, doch die Beschreibung der Ereignisse vor der Hochzeit und der Hochzeitsnacht hat gar nichts Romantisches. Da ist nicht die Rede von etwas, das jetzt etwa verheißungsvoll anfangen soll; Gefühle bleiben abwesend:
"Still bleiben sie sitzen, rühren in den Tassen, die Uhren dort oben ticken und gehen der Stunde der Trauung entgegen." Von Liebe, von Aufregung ist hier nichts zu spüren, die Szene gleicht einem Begräbnis. Hildurs Herz ist schon lange "stumm und leergeweint".

Die ganze Szene ist voller Spannung, bleiern und schwer, dunkel und unheimlich. Oft benutzt Dagerman Wörter, die eher mit dem Sterben und dem Tod in Verbindung gebracht werden als mit einer Hochzeit. Geschildert wird eine Gemeinschaft aus Bauern, Knechten und Landstreichern, in der sich jeder selbst der Nächste ist. Sie alle bilden wie bei Sartre eine Art "geschlossener Gesellschaft" voller sadistischer Züge.

So Mancher in diesem Dorf hat eine Leiche im Keller, und Dagerman spart nicht mir der Schilderung einer Vielzahl von Ausschreitungen der Menschen untereinander, versuchten Vergewaltigungen und Unfällen. Und von einem Selbstmord. Begangen wird er von Martin, einem ungebetenen Hochzeitsgast, einem ehemaligen Liebhaber Hildurs, der kurz vor deren Hochzeit noch ein letztes Mal um sie wirbt und sich, als sie ihn deutlich zurückstößt, in der Scheune erhängt. Dieses Drama und dieser Schock mobilisieren für kurze Zeit die positiven Seiten der Dorfgemeinschaft. Zeichen von Solidarität werden sichtbar, doch am nächsten Morgen sind sie verschwunden, als hätte es sie nie gegeben, was ja auch so ist.

Die Philosophie, die dahinter steht, formuliert Hildur am Ende so:
"Man muss nehmen, was man zum Nehmen hat, und froh sein. Hat man kein Leben, muss man das Sterben nehmen. Und hat eine Kuh keine Milch, dann muss sie es hinnehmen geschlachtet zu werden."

Dagermans Roman trägt existenzialistische Züge. Freiheit wird beschrieben als "eine höllische Einsamkeit". Das Buch erinnert in Manchem an das Werk Bergmans und hätte einen für ihn typischen Film abgegeben. Niedergeschlagene oder depressive Menschen sollten nach Meinung des Rezensenten dieses düstere, gleichwohl sehr literarische Buch nicht lesen. Für die Anderen ist es ein zeitweise irritierendes, in ungeahnte seelische Abgründe führendes Leseabenteuer.

(Winfried Stanzick; 05/2010)


Stig Dagerman: "Schwedische Hochzeitsnacht"
Aus dem Schwedischen von Herbert G. Hegedo.
Mit einem Nachwort von Per O. Enquist.
Eichborn - Die Andere Bibliothek , 2010. 288 Seiten.
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