Oliver Storz: "Die Freibadclique"


Freischwimmen
Oliver Storz erzählt von einer Jungenfreundschaft zwischen Krieg und Nachkrieg, zwischen Kindheit und Erwachsensein


"Wir waren die, die dazwischenhingen auf immer und ewig: aus der militanten Tradition des Konservativ-Nationalen herausgefallen wie unflügge Jungvögel aus dem Nest und für die Rückkehr in die reinlichen Behausungen des Bürgerlichen zu viel Dreck gesehen, selbst zu dreckig geworden. Weder Krieger noch Honnêtes hommes, wir verachteten beide. Wir hassten den Krieg, aber kaum weniger den Frieden, der da kommen würde mit Schule, Tanzstunde und Hausmusik. Wohin mit uns? Wir passten nirgendwo rein."

Diese beinahe letzten Worte des Romans "Die Freibadclique" sind bezeichnend für die "Neunundzwanziger", die Jungs um "Zungenkuss", "Bubu", "Hosenmacher", dem "großen Knuffke" - einem ausgebombten Berliner und gleichzeitig faszinierendsten Charakter des Romans - und dem namenlosen Ich-Erzähler - das Alter Ego des Autors. Im Sommer des Jahres 1944 treffen sie sich jeden Tag im Freibad eines nicht benannten Städtchens in der Nähe von Mannheim (alles deutet darauf hin, dass es sich um den Heimatort des Autors - Schwäbisch Hall - handelt). Drei von ihnen werden das nächste Jahr jedoch nicht überleben. Das teilt Oliver Storz, (ein erfolgreicher Filmemacher), schon auf den ersten Seiten mit.

Ein heißer (Kriegs)Sommer des Erwachens für die Pubertierenden
Doch noch tangiert das Kriegsgeschehen die Fünfzehnjährigen nur beiläufig, in Form von silbernen Fliegerstaffeln am sonnenklaren Himmel oder den Luftwaffenfähnrichen des benachbarten Fliegerhorsts. Sie setzen andere Prioritäten: "Lore, eine Nachrichtenhelferin vom Fliegerhorst, blitzblankblau wie die Söderbaum im Kino, aber nicht so tränenkeusch, eher mit sündigen Augen - mag aber auch sein, dass unsere Augen den ihren das Sündige nur andichteten, weil wir inmitten von Appellen und Endsiegverkündigungen gern ein bisschen Sünde gehabt hätten." Für die Neunzehnjährige mit dem leuchtendroten Badeanzug stürzen sie sich kühn vom Zehnmeter-Turm. Für einen Blick auf vage angedeutete nackte Frauenhaut im erst ab 18 freigegebenen Film "Münchhausen" diskutieren sie strategische Vorgehensweisen, um unbemerkt ins Kino zu gelangen.

Doch bald kommen auch ihre Sehnsucht und ihre Träume zum Erliegen, und die Gegenwart bricht mit voller Wucht über sie herein. Nichts nützt es, wenn Lale Andersen im Radio singt: "Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei". Nach dem Attentat auf Hitler wird das Leben, "also der Krieg eben", auch für sie jugendfrei. "Heilige Pflicht der Juuugend, dem frevlerisch-frechen Vordringen des jüdisch-plutokratischen Bösen Einhalt zu gebieten mit dem Spaten in der Hand - Ausbau von Auffangstellungen für die heldenmütig kämpfende Wehrmacht, die vielleicht, aber nur vorübergehend, hinter den Rhein ausweichen müsse ...", agitiert Bannführer Seidebrant.
Sie folgen, denn immerhin sollen auch kriegsdienstverpflichtende Mädels ganz in der Nähe sein. Die erwachenden Lenden sind allgegenwärtig. "Eros und Thanatos, die alte Sache, ein Schutzmechanismus." Man blendet das Grauen einfach aus.

Oliver Storz - ein vielfach ausgezeichneter Filmregisseur - weiß dies professionell in Szene zu setzen. In kurzen Sequenzen, ohne großes Getöse und viel Tamtam, beinahe wie in einem Stummfilm und mit viel Weichzeichner, lässt er die Geschehnisse der letzten Kriegsmonate am Leser und der "Freibadclique" vorüberziehen. Tote und die näher rückende Front im Schwäbischen gleiten wie flüchtige Schatten vorbei. "Auffällig im Rückblick auf diese Jugend sind die Leerflächen", sinniert der Ich-Erzähler, "auf denen kein Gedanke, keine Empfindung mehr zu finden ist, Brachland, immer schon, oder versteppt unter der Strahlung der Jahrzehnte."

Die "Freibadclique" ist erwachsen geworden
Und schon breitet sich der Duft von amerikanischem Kaffee und Natrongebäck aus. Fürs Wundenlecken bleibt da keine Zeit. "Als es vorbei war und wir wieder zu Hause, fing eine Zeit an, die uns aufgesaugt hat, (...), die 'Goldgräberzeit', wie wir sie später nannten. Keiner (...) ist auf die Idee gekommen, rückblickend Ordnung zu bringen in den Ablauf dieser Irrfahrt Richtung Crailsheim und zurück." Sogar der stotternde Studienrat "Ströh-Ströhle" knüpft in der ersten, wieder aufgenommenen Schulstunde an, als wäre nichts passiert: "Weiß je-jemand, wo wir ste-stehen geblieben waren?"

Bei Oliver Storz hingegen ist ein deutlicher Wandel zu spüren. Sein Duktus hat sich verändert. Der anfänglich stakkato-, rapportartige, forsche und wortreiche Ton - offensichtlich ein Stilmittel des Autors für die Nazi-Realität - verliert sich in der Nachkriegszeit völlig und weicht einem deutlich nuancierteren, feinsinnigeren Schreibstil, der viele eigene Reflektionen des Ich-Erzählers offenbart.

Letztendlich trifft man sich wieder im Freibad, denn die Mädels sind doch eigentlich das, was das Leben ausmacht. Aber etwas fehlt: "Ein Rot (...), ein ganz bestimmtes Rot, das es nur einmal gegeben hat auf der Welt, ein Badeanzugrot, das nie mehr leuchten wird oder nur im Traum." Die übrig gebliebenen Jungs haben ihre kindliche Unschuld verloren und sind erwachsen geworden - zu schnell vielleicht.

Fazit:
Oliver Storz erzählt von einer Jungenfreundschaft zwischen den Welten, zwischen Krieg und Nachkrieg, zwischen Kindheit und Erwachsensein, mitten im Chaos zwischen Untergang und Aufbruch. "Die Freibadclique" ist ein thematisch überzeugender und packender Zeitroman ohne Einschränkung und ein Dokument der dramatischsten Umbruchsphase und den Wirrnissen der jüngeren deutschen Geschichte. Eine Melange aus feinsinnig-eleganter, zeitweilig jugendlich ungestümer, verbal-derber und mit Ironie garnierter Lesekost, mit vielen lebendigen Dialogen und voller Nachdenklichkeiten.

(Heike Geilen; 09/2008)


Oliver Storz: "Die Freibadclique"
SchirmerGraf Verlag, 2008. 256 Seiten.
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