Cesare Pavese: "Die einsamen Frauen"


Heimkehr in die Fremde

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg kehrt Clelia nach siebzehnjährigem Aufenthalt in Rom zurück nach Turin. Als ehrgeizige Modistin hatte sie in der Modebranche der Hauptstadt Karriere gemacht, war zu Ansehen und einigem Geld gekommen.
Die kinderlose und selbstbewusste Frau möchte in ihrer Heimatstadt, die sie in all den Jahren kein einziges Mal besucht hat, eine Filiale eröffnen.

Gleich in den ersten Stunden nach der Rückkehr erlebt Clelia einen Selbstmordversuch in einem anderen Zimmer ihres Hotels. Rosetta, eine unglückliche Tochter aus gutem, zumindest wohlhabendem Hause, hat versucht sich zu vergiften. Sie überlebt, doch zieht sich die Versuchung des Todes durch alle Begegnungen Clelias in Turin, sei es mit den wenigen Personen, die sie aus ihrer Jugend noch kennt, sei es mit Angehörigen der Jeunesse dorée von Turin.
Nicht vor einer Kulisse idyllischer Heimat, sondern der Not und moralischen Leere der Nachkriegsjahre amüsiert sich die reiche Jugend in Bars, Casinos, Hotels und bei Spritztouren ins Gebirge. Deren oft unbekümmerte und heftige Vergnügungen in kurzen kommentarlosen Szenen detailreich zu schildern, war an sich schon ein Tabubruch des Autors: Frauen rauchen, nehmen sich hemmungslos und wechselnd Männer, leben, als hätte es in Italien 1949 schon ein Scheidungsrecht gegeben.

Die Todesnähe steht jedoch nicht im Widerspruch zum freizügigen Sexualleben der jungen Männer und Frauen. Ihr ziel- und dadurch freudloses Treiben ist die Triebkraft des schleichenden Todes, des Niedergangs in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs, durch den sich Clelia zunehmend ihrer vermeintlichen Heimatstadt entfremdet. Cesare Pavese (1908-1950), der sich nur ein halbes Jahr nach Herausgabe des Romans politisch desillusioniert und in der Liebe enttäuscht selbst in einem Hotelzimmer seiner Heimatstadt das Leben nahm, hatte wohl nicht die Rückkehr zur Moral des 19. Jahrhunderts im Sinne, als er diesen Roman schrieb. Dennoch empfiehlt er seinen Lesern keine bestimmte Weltordnung; dies wäre nach den Jahren des Faschismus, die Pavese teilweise in der Verbannung in Kalabrien verbringen musste, wohl überflüssig.

Dabei wendet Pavese literarische Mittel an, die er als Übersetzer amerikanischer Autoren, unter ihnen Herman Melville, William Faulkner, John Dos Passos und Sinclair Lewis, kennen gelernt haben mag. Wie im Film blendet er auf, beleuchtet eine Szene nach der anderen, überlässt die Dialoge und Geschehnisse nur mit der nötigsten Einleitung den Lesern zur Lektüre. Der Roman entsteht so in deren Kopf, die Verknüpfungen zwischen den fünf- oder sechsseitigen Kapiteln liegt nicht mehr in der Verantwortung des Autors.

Als eines von Cesare Paveses letzten Werken ist der Roman "Die einsamen Frauen" besonders mit seiner Heimatstadt Turin verbunden und geeignet, zum 100. Geburtstag des Autors in neuer Übersetzung herausgegeben zu werden. Ein Nachwort der deutschen Literaturwissenschaftlerin Maike Albath, das detailreich in Leben und Werk des Autors einführt, und ein Auszug aus dem Briefwechsel zwischen Italo Calvino und Cesare Pavese über "Die einsamen Frauen" machen aus dem Buch eine ansprechende bibliophile Festschrift.

(Wolfgang Moser; 09/2008)


Cesare Pavese: "Die einsamen Frauen"
(Originaltitel "Tra donne sole")
Aus dem Italienischen von Maja Pflug.
Claassen Verlag, 2008. 206 Seiten.
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Cesare Pavese, am 9. September 1908 in San Stefano/Cueno geboren, gilt als einer der Begründer der modernen italienischen Literatur. Er studierte Literaturwissenschaften in Turin, schrieb Gedichte und übersetzte zahlreiche Werke aus dem Englischen. Wegen seiner antifaschistischen Haltung wurde er 1935 für acht Monate nach Kalabrien verbannt. Nach dem Krieg arbeitete er als Lektor bei "Einaudi"; seine Romane wurden mit dem höchsten italienischen Literaturpreis, dem "Premio Strega", ausgezeichnet. Cesare Pavese setzte am 27. August 1950 seinem Leben ein Ende.

Weitere Bücher des Autors (Auswahl):

"Das Handwerk des Lebens. Tagebuch 1935-50"

(Claassen)
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"Andere Tage, andere Spiele"
Dieser frühe Episodenroman aus dem Nachlass des großen italienischen Erzählers Cesare Pavese schildert den unterschiedlichen Werdegang zweier begabter junger Männer - eines bürgerlichen Intellektuellen und eines Arbeiters aus einfachsten Verhältnissen.
"Andere Tage, andere Spiele" ist geprägt von der Spannung zwischen spielerischer Heiterkeit und bitterem Erleben - ein Frühwerk, das thematisch und künstlerisch die berühmten späteren Romane Paveses vorwegnimmt. (Claassen)
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Noch ein Buchtipp:

Johannes Hösle: "Die italienische Literatur der Gegenwart. Von Cesare Pavese bis Dario Fo"

Die neuere und neueste italienische Literatur beschränkt sich keinesfalls auf Umberto Ecos Verkaufserfolge und auf Dario Fo, den Nobelpreisträger des Jahres 1997. Johannes Hösles Darstellung reicht von Pasolinis Milieustudien bis zum postmodernen Roman Italo Calvinos, von Gesualdo Bufalinos sizilianisch-fantastischen Imaginationen bis zu Andrea Zanzottos minutiösen Gedichten. Sie geht den Schreibwegen bekannter Autoren nach und deckt Spuren kaum bekannter auf. Nicht zuletzt entfaltet sie vielfältige literarische Bezüge und gibt fundierte Einblicke in das persönliche und regionale Umfeld der rund 70 porträtierten Literaten. (C.H. Beck)
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