Johannes Willms: "Napoleon III."

Frankreichs letzter Kaiser


Ein Politiker zwischen Tradition und Moderne

Johannes Willms ist Kulturkorrespondent der "Süddeutschen Zeitung" in Paris. 2005 erschien ebenfalls bei C.H. Beck seine Biografie Napoleons I.

Am Ende des Vorworts erwarten den Leser zwei aufschlussreiche Informationen, denn der Autor verspricht eine politische Biografie und kein Kompilat von Geschichtchen und Histörchen Napoleons III. Die zweite wichtige Information betrifft des Autors Empathie für Napoleon III., die er offen eingesteht; er kann sich also in ihn hineinversetzen, aber heißt er ihn auch gut? Wenn man sich von der hartnäckigen Illusion verabschiedet hat, dass es so etwas wie eine objektive Biografie überhaupt geben kann, dann weckt das Eingeständnis der Empathie des Autors Vertrauen.

Doch wer war dieser Napoleon III., der das second empire begründete, das zweite französische Kaiserreich der Jahre zwischen 1852 und 1870, dessen Geburtstag sich im April 2008 zum 200. Male jährt? Diese Frage, so betont der Autor ebenfalls im Vorwort, ist strittig, und so kommt je nach Perspektive ein positives oder eher negatives Bild heraus. Und aus französischer Sicht wohl eher Letzteres.

Fokussiert man auf den Staat als Ganzes, so stabilisierte sich das Land nach der 1848er Revolution unter Napoleon III. und befreite sich von der schweren Hypothek des Wiener Kongresses, die als ungerecht empfunden wurde. Kulturell profitierte Frankreich deutlich in dieser Zeit, und auch das moderne Paris mit seinen großzügigen Boulevards, die von Napoleon initiierte und von Haussmann begonnene "Transformation des Paris", ist ein Produkt dieser Zeit. Aber Napoleon ließ sich auch auf militärische Abenteuer ein wie etwa den Krimkrieg, bei dem 100.000 französische Opfer bei der Belagerung von Sewastopol (hierbei die Mehrzahl an Cholera gestorben) zu beklagen sind. Es folgten der Sardinische Krieg, ein Abenteuer in China sowie eine regelrechte Pleite in Mexiko. Die totale Niederlage im Deutsch-Französischen Krieg von 1870 kann man Napoleon nur bedingt anlasten, da er hierbei Bismarck gehörig auf den Leim ging. Dass Napoleon III. durch die Kapitulation 60.000 Soldaten das Leben rettete, wird ihm insbesondere in Frankreich oft negativ verbucht.

Fragt man hingegen nach den Menschen in dieser Zeit, so kann man dem Politiker Napoleon durchaus positive Züge abgewinnen. Als umsichtigen und modernen Staatsmann sieht der Autor Napoleon im Hinblick auf dessen Wirtschafts- und Sozialpolitik. Da Napoleon als Souverän ohne Hausmacht auf die Massen angewiesen war, wird der Anteil des Altruismus nicht zu klären sein. Jedenfalls hatte er in England das eklatante Missverhältnis von industrieller Revolution und Massenverelendung kennengelernt. Und so schreibt der Autor: "Das brachte ihn auf den naheliegenden Einfall, die Dynamik der industriellen Revolution, deren ungelenkte Entwicklung so sichtbar auseinanderlief, zu bündeln, sie in Richtung einer Fortschrittsgerechtigkeit zu lenken, von der alle profitierten. Derart kühn und weit dachte damals kein anderer Staatsmann. Für Napoleon III. war dies aber gleichsam eine Selbstverständlichkeit, die verrät, wie ernst er das demokratische Element seiner Herrschaftslegitimation nahm, die ihm eine Modernität zur Pflicht machte, deren Herausforderungen er als einer der ersten Staatsmänner erkannte. Bismarck, der sich bei ihm manches abschaute, hat sich auch davon zu einigen Elementen seines eigenen Herrschaftsbaus inspirieren lassen."

Einige seiner politischen Schriften lassen erkennen, dass er die wirtschaftlichen Probleme der einfachen Menschen verstanden habe und ihnen auch im Prinzip Rechte zubilligte. Als ausgesprochen weitsichtig muss auch gelten, was er bereits 1844 in seiner Schrift "L'Extinction de Paupérisme" geschrieben hatte, dass es entschieden sinnvoller sei, wenn der Staat 300 Millionen für die Bekämpfung der Armut ausgebe als 120 für den Bau neuer Gefängnisse. In seinen "Idées napoléoniennes" hatte er diesen Grundgedanken staatlichen Handelns niedergeschrieben: "Die Regierungen sind dazu da, der Gesellschaft zu helfen, die Hindernisse, die ihr Fortschreiten aufhalten, zu beseitigen. (...) Eine Regierung ist die Initiative eines jeden sozialen Organismus."

Doch es gibt auch noch den Napoleon in Napoleon III., der zwei Putsche unternahm und viele Gelegenheiten nutzte, Gesten seines Onkels zu imitieren und somit von dessen Glanz zu profitieren. Phasenweise gab er sich Demagogie in Reinkultur, auch wenn er stets seine demokratischen Wurzeln als gewählter Präsident betonte. In dieses Bild passt das Zitat: "Ich möchte gerne mit dem Wasser des allgemeinen Wahlrechts getauft sein, aber ich möchte nicht damit leben, mit den Füßen im Wasser zu stehen."

Napoleon III. starb 1873 im englischen Exil, und anders als bei seinem Onkel interessierte sich Frankreich nicht mehr für seine Gebeine. So ist eben die Geschichte ...

Fazit:
Das 19. Jahrhundert ist eine schwierige Epoche, denn neben den üblichen dynastisch motivierten Umwälzungen mischen sich zwei mächtige Momente ein, und zwar der Nationalismus und die Industrialisierung. Napoleon III. übernimmt geschickt die Macht in Frankreich, reagiert geschickt auf die Industrialisierung, wird jedoch Opfer des Großmeisters des europäischen Nationalismus', Opfer Bismarcks. Sehr sachkundig, einfühlsam und nie langweilig präsentiert Johannes Willms einen der Akteure dieser Zeit.

(Klaus Prinz; 03/2008)


Johannes Willms: "Napoleon III. Frankreichs letzter Kaiser"
C.H. Beck, 2008. 311 Seiten.
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