Besuch, bei jemandem, der nicht zuhause ist

Ganz vorsichtig öffne ich die Türe. Ich weiß ja, dass du es nicht magst, wenn man sie mit Schwung aufstößt.
Das Glas! Pass doch bitte auf das Glas auf!
Ja, ich habe es oft genug gehört.
Ich habe es erst vor einem Monat auswechseln lassen.
Der Teppich ist auch wieder einmal verrutscht. Und der Fleck von damals ist auch noch immer da. Du weißt schon, als wir gemeinsam gekocht haben. Das war schön. Selten war es in der kleinen Küche so lustig gewesen.
Ich gehe jetzt zum Fenster vor, am Kühlschrank vorbei. Schon wieder stoße ich mich bei der Ecke von dem kleinen Tisch. Jedes Mal passiert das. Ich werd's wohl nie lernen.
Der Blumenstrauß, den du für deine Nachbarin gekauft hast, welkt langsam vor sich hin. Du hast vergessen, ihn ihr zu schenken. Die gelbe Nelke schaukelt ihren geneigten Kopf wie eine Feder im Wind, der beim gekippten Fenster hereinweht. Immer lässt du es offen, wenn du weggehst. Und jedes Mal ärgerst du dich dann, wenn du nach Hause kommst und sich Großstadtluft überall ausgebreitet hat. Das wirst du wohl nie lernen.
Mit kleinen vorsichtigen Schritten winde ich mich beim Tisch vorbei. Nützt aber nichts. Ich hab mich wieder mal an der Kante gestoßen.
Der Vorhang mit dem bunten Muster bauscht sich im Wind. Das Fenster im Schlafzimmer hast du natürlich auch offen gelassen. Ich schiebe ihn beiseite und rieche Sommer, Sonne und deine Haut.
Der Vorhang wird mich immer an unseren Urlaub in Spanien erinnern, wo wir ihn gekauft haben.
Olé! Komm, und fang mich, wenn du kannst!
Wenn ich daran denke, wie du als Torrero mit seinem roten Tuch am Strand herumgesprungen bist ...
Und dann haben wir uns damit eingewickelt. Haut an Haut, Kopf an Kopf sind wir dagesessen. Ich bleibe noch ein bisschen im Türrahmen stehen, so lange, bis der Geruch weg ist. Dein Geruch!
Ah, wie ich sehe, hast du das Bett wieder nicht gemacht. Ja, ja, hast wahrscheinlich bis zur letzten Sekunde geschlafen. Hier riechts noch viel mehr nach dir. Ich fange an, die Polster zurechtzurücken. Kann nicht widerstehen. Eine Hand tastet sich an der Bettkante entlang. Stück für Stück. Langsam, ganz langsam zieht es mich auf dein Bett. Unser Bett. Ich hab's ja mit ausgesucht. Ich strecke mich auf der Decke aus. Auf einer Decke. Wir wollten immer so eng wie möglich beieinander liegen. Ein bisschen etwas von deiner Wärme streichelt meinen Nacken. Deine Nähe ist so absolut, dass ich nicht atmen kann. Du bist hier, bei mir. Liegst an meiner Seite und beschützt mich.
Ich öffne die Augen und sehe aus dem Fenster. Meinem Fenster in meiner Wohnung. Es ist aus, ja, ich weiß.
Aber in Gedanken werde ich dich wohl noch oft besuchen kommen.

 

(von Silvia Leenden)