MÄRCHENGEDICHTE

Diethelm Kaminski

Falsches Schuhwerk

Praktisch ist
ein gläserner Pantoffel nicht.
Da holt ein zarter Fuß
sich ganz schnell Blasen
oder Schnittwunden sogar,
wenn er zerbricht.
Und außerdem muss man
sich stets die Füße waschen.
Empfehlen kann dem  Aschenputtel jeder
Schuhe aus weichem Leder
(und im Winter Wickelgamaschen).
 

Sozialhilfe

Die Fee, bevor sie
ihre Zaubersprüche flüstert,
nimmt vorsichtshalber
Aschenputtels Körpermaße.
Sind die nicht ideal,
wäre der Prinz verbiestert.
Und die Prinzessin
wäre wieder Aschenputtel
und säße als Sozialfall auf der Straße.

Die Konkurrentin

Was hilft die Gewissheit,
die Schönste im Lande zu sein?
Ein gewisses Schneewittchen
dringt in ihre Träume ein
und lässt sie nicht mehr ruhig schlafen.
Ein neues Schönheitsideal
hat sich fast über Nacht
im Lande breit gemacht.
Nicht länger klassisch, strenge Züge,
möglichst bleich,
wie sie, die Königin,
es verkörperte im Reich.
Neuerdings die Männer verlangen
halbe Kinder, mit süßen Gesichtern und rosigen Wangen.
Schneewittchen ist für diesen Modetrend der Inbegriff.
Sie stürzt die Königin ins tiefste Seelentief.
“Ich mache keine langen Geschichten:
Sie oder ich. Ich muss und werde sie vernichten!”

Durchschaut

Dass die Frau Holle
doch der Teufel hole.
Die wirft ihr Geld
zum Fenster nicht hinaus.
Wenn´s trotzdem Goldmünzen
auf Else regnet,
kann das nur heißen:
Dieses Geld ist nicht gesegnet!
Wenn so viel Geld
aus heiterem Himmel
auf die arme Else fiel,
ist klar: Es handelt sich
um Geldwäsche im großen Stil.

Gebrochenes Versprechen

Der Froschkönig guckt
ziemlich grimmig.
Die Königstochter sagte: “Nimm mich,
wenn´s dir gelingt,
mir meine Goldkugel zurückzuholen.”
Nun hat sie sie, doch tut nichts weiter sie,
als rumzualbern und im Park zu bowlen,
was dem auf den Geschmack gekommenen
Froschkönig nicht wenig stinkt.
“Diesem ungezogenen Fohlen
müsste endlich mal jemand den Arsch versohlen!”

Rachegelüste

Der Müllerbursche räsoniert:
Wenn in den Sack er haut,
ihm jetzt schon vor der trüben Zukunft graut.
Und wenn er bleibt,
der Müller ihn noch in den Wahnsinn treibt.
Er bräuchte einen Knüppel aus dem Sack,
der gnadenlos den Meister zwackt,
wenn dieser seinen Burschen quält.
Gleich ruft er: “Knüppel aus dem Sack.
Los geht´s. Die Hiebe werden nicht gezählt!”
Der Knüppel hüpft dann munter auf des Meisters Rücken.
Der Bursche braucht sich nicht einmal zu bücken.
So lang ein Müllerbursche davon träumt,
wie seinen Rachedurst er stillt,
werden die Kornsäcke nicht weggeräumt.
Das Korn bleibt ungemahlen.
Der Meister brüllt:
 “Elender Faulpelz, du. Das wirst du mir  bezahlen!”

Verschmäht

Die dicke Frau ist noch am Überlegen.
Noch hat die Schürze sie nicht ausgebreitet.
Soll sie einsacken
den ganz unverhofften Sternentalersegen?
Oder wird ihr dadurch alles nur noch mehr verleidet?
Leisten könnte sie sich endlich eine medizinische Diät.
Doch ob es ihr dann wirklich besser geht?
Will man an seinem Lebensschiffchen
zu viel auf einmal ändern,
läuft man Gefahr, damit zu kentern.
Am besten lässt sie alles, wie es ist,
auch wenn, vollends frustriert,
sie dann vielleicht noch mehr als bisher frisst.

Trauriges Ende des Gestiefelten Katers

Gestiefelt ist er noch,
ansonsten aber ziemlich platt getreten.
Es sieht nicht danach aus,
als hätten Glück gebracht ihm die Diäten
seines unermesslich reichen Herrn.
Wie´s scheint, fiel erst in Ungnade
und dann (natürlich mit Gewalt) zu Boden er.
Womöglich war sein unbescheidener Begehr
nach mehr und immer mehr?
Ob er sogar von einem Adelstitel träumte,
so dass sein Herr ihn notgedrungen
aus dem Wege räumte?
Nun können ihm nicht mal
die teuren Siebenmeilenstiefel nützen,
da tot er in denselben steckt.
Entehrt muss er im gröbsten Dreck jetzt liegen,
kann nicht mal mehr in goldenen Kutschen sitzen.
So viel muss als Erklärung bis auf weiteres genügen.
Man kann´s nicht ändern: Unser Kater ist verreckt!
 

Nixentraum

Tief auf dem Meeresgrund
schläft eine wunderschöne Nixe
mit kussbereitem Mund.
Krabben und zierliche Fische
besetzen den silbrigen Leib.
Sie träumt, dass ein hübscher Bewohner
des Landes zu ihrem Zeitvertreib
in ihre Einsamkeit sich mische.
Vielleicht holt sie ihn auf den Thron her
als König im Nixenreich.
“Gib aber, mein Auserwählter,
ich bitte dich, flehentlich, Acht,
dass, wenn du zu lange zögerst,
kein garstiger Wassermann
schon vor dir zu mir sich schleich.
Dann ist es aus mit dem Traum
von gemeinsamer Macht
über Menschen, Kraken und Fische.“
 

Verweigerung

Ein Maul
breit wie ein Gaul
müsst´ als Prinzessin ich mein eigen nennen,
sollte ich einen solchen dicken Frosch
durch einen Kuss als meinen Märchenprinz erkennen.
Die Riesenkröte ist nur widerwärtig.
Dann lieber doch ein widerlicher Mann:
ohne Manieren, ungepflegt und ziegenbärtig.
Und müsste ich mich selbst vor seinen Schlägen ducken.
Ich will und werde keine fette Kröte schlucken.