Robert Walser

SONNTAGSAUSFLUG

Eine Eisenbahnfahrt frühmorgens hat etwas Vielversprechndes. Man sitzt gemütlich unter allerlei gesitteten Leuten, denen man sympathisch ist, weil sie einen ncht näher kennen. Wie das fröhlich durch die Luft saust! Wölkchen flattern unbesorgt dem Zug nach. Wasser und Land zeigt sich dem Blick. Gegenstände nähern, entfernen sich. In der Schnelligkeit liegt etwas Beglückendes. Bei einem Städtchen steigt man aus. Der Sonntag ist warm; eine originell gekleidete Frau geht über die Straße. Ich besteige sehenswürdigkeitsbesichtigend einen mittelalterlichen Turm und finde die Aussicht blendend. In meiner Tasche befindet sich ein kleiner Unterhaltungsroman, den ich in einer Bahnhofshalle kaufte. In einem Birkenwäldchen ist es nach einer Stunde erfrischend, auszuruhen. Ich habe Proviant mitgenommen, den ich jetzt verzehre. Auf einer Anhöhe gerate ich in eine Gasthaus, worin sich eine Hochzeitsgesellschaft, sorgsam frisiert und zum Teil weiblich beblümelt und zart verschleiert, an Tischen aufhält, die ländlich derb aussehen. Fliegen summen im sommerlichen Zimmer. Gesprochen wird nicht viel, bloß hie und da ein bißchen gelächelt. Die Gesichter haben rote Flecken und sind charaktervoll, und dann geht's weiter, hinab und hinauf, an Feldern, Äckern, blühenden Blumen und dem Getön vorbei, das die Bläue begleitet. Wie ist de Welt beim Spazierengehen gut und schön! In einer Schlucht glitzert ein Bach. Mein Ausflugsziel ist ein Renaissanceschloß, das sich nun vor meinen Augen gestaltig, gewaltig emporzuheben beginnt, mit Zieraten, Türmen. Ich gehe über eine ausdrucksvolle Brücke und trete in den ausgedehnten Schloßhof, wo ich eine Dame in einem Korridor stehen sehe. Sie steht unbeweglich und blickt mich durchs Glas an, ohne mich zu beachten, wachsfigurenhaft anmutend.Inzwischen ist ein feingekleidetes Mädchen graziös und mit geziemendem Stolz, ihr Röckchen mit den behenden Beinen schüttelnd, über den Hof gegangen, und ein alter Diener, dessen Erscheinung eine achtungweckende ist, kommt in einem Türrahmen zum Vorschein, der reizend und reich ornamentiert ist. Ich stehe staunend eine Weile vor all der vornehmen Architektur still; dann besuche ich gemächlich den Park, der sich vor dem Sonntagpublikum nicht verschließt, vielmehr ruhig gestattet, daß man ihn anschaut, es sich auf seinen zahlreichen lieblichen Wegen hin und her gehend wohl sein läßt. Ein Pavillon schmückt einen Hügel mit eleganten Säulen und seinem pittoresken Dach. Ich komme mir beinahe in eine Unwirklichkeit versetzt vor, wie es Knaben zur Jugendzeit des Lebens geht, die in Ländern, Gegenden leben, die nirgends als in interessanten Büchern existieren.. Hoch ragen Laubbäume in die herrliche, luftige Höhe. Allmählich wird's Abend; Singvögel singen gefühlvoll, und ein Schwan schwimmt auf einem runden, seeartigen Gewässer sanft daher. Wie üppig die Wiesen sind, wie schön das Besitztum aussieht!
Bald führt mich die Bahn dorthin zurück, von wo ich ausflog.

(1932/33)