Der gläserne Schuh
Ein Bauer aus Rothenkirchen, Johann
Wilde genannt, fand einmal einen gläsernen Schuh auf einem der Berge, wo die
kleinen Leute zu tanzen pflegen. Er steckte ihn flugs ein und lief weg damit und
hielt die Hand fest auf der Tasche, als habe er eine Taube darin. Denn er
wusste, dass er einen Schatz gefunden hatte, den die Unterirdischen teuer
wiederkaufen müssten. Andere sagen, Johann Wilde habe die Unterirdischen
mitternächtlich belauert und einem von ihnen den Schuh ausgezogen, indem er sich
mit einer Branntweinflasche dort hingestreckt und gleich einem Besoffenen
gebärdet habe. Denn er war ein sehr listiger und schlimmer Mensch und hatte
durch seine Verschlagenheit manchen betrogen und war deswegen bei seinen
Nachbarn gar nicht gut angeschrieben, und keiner hatte gern mit ihm zu tun.
Viele sagen auch, er habe verbotene Künste gekonnt und mit den Unholden und
alten Wettermacherinnen geheimen Umgang gepflogen. Als er den Schuh nun hatte,
tat er es denen, die unter der Erde wohnen, gleich zu wissen, indem er um die
Mitternacht zu den Neun Bergen ging und lauten Halses schrie: "Johann Wilde in
Rothenkirchen hat einen schönen gläsernen Schuh, wer kauft ihn? Wer kauft ihn?"
Denn er wusste, dass der Kleine, der einen Schuh verliert, den Fuß solange bloß
tragen muss, bis er in wiederbekommt. Und das ist keine Kleinigkeit, da die
kleinen Leute meist auf harten und steinichten Boden treten müssen. Der Kleine
säumte auch nicht, ihn wieder einzulösen. Denn sobald er einen freien Tag hatte,
wo er an das Tageslicht hinaus durfte, klopfte er als ein zierlicher Kaufmann an
Johann Wildens Türe und fragte, ob er nicht gläserne Schuh zu verkaufen habe?
Denn die seien jetzt eine angreifische Ware und werden auf allen Märkten
gesucht. Der Bauer antwortete, er habe einen sehr kleinen, netten gläsernen
Schuh, so dass auch eines Zwerges Fuß davon geklemmt werden müsse, und dass Gott
erst eigene Leute dazu schaffen müsse; aber das sei ein seltener Schuh und ein
kostbarer Schuh und ein teurer Schuh, und nicht jeder Kaufmann könne ihn
bezahlen. Der Kaufmann ließ ihn sich zeigen und sprach:
"Es ist eben
nichts so Seltenes mit den gläsernen Schuhen, lieber Freund, als Ihr hier in
Rothenkirchen glaubt, weil Ihr nicht in die Welt hinauskommet"; dann sagte er
nach einigen Hms: "Aber ich will ihn doch gut bezahlen, weil ich gerade einen
Gespann dazu habe." Und er bot dem Bauern tausend Taler. "Tausend Taler ist
Geld, pflegte mein Vater zu sagen, wenn er fette Ochsen zu Markt trieb", sprach
der Bauer spöttisch; "aber für den lumpigen Preis kommt er nicht aus meiner
Hand, und mag er meinethalben auf dem Fuße von der Docke meiner Tochter prangen.
Hör' Er, Freund, ich habe von dem gläsernen Schuh so ein Liedchen singen hören,
und um einen Quark kommt er nicht aus meiner Hand. Kann Er nicht die Kunst, mein
lieber Mann, dass ich in jeder Furche, die ich auspflüge, einen Dukaten finde,
so bleibt der Schuh mein, und Er fragt auf anderen
Märkten nach gläsernen
Schuhen." Der Kaufmann machte noch viele Versuche und Wendungen hin und her; da
er aber sah, dass der Bauer nicht nachließ, tat er ihm den Willen und schwur's
ihm zu. Der Bauer glaubte ihm's und gab ihm den gläsernen Schuh; denn er wusste,
mit wem er's zu tun hatte. Und der Kaufmann ging mit seinem Schuh
weg.
Und nun hat der Bauer sich flugs in seinen Stall gemacht und Pferde und Pflug
bereitet und ist ins Feld gezogen und hat sich ein Stück mit der allerkürzesten
Wendung ausgesucht, und wie der Pflug die erste Scholle gebrochen, ist der Dukaten
aus der Erde gesprungen, und so hat er's bei jeder neuen Furche wieder gemacht.
Da ist des Pflügens denn kein Ende gewesen, und der Bauer hat sich bald noch
acht neue Pferde gekauft und
auf den Stall gestellt zu den achten, die er schon hatte, und ihre Krippen sind
nie leer geworden von Hafer, damit er je alle zwei Stunden zwei frische Pferde
anschirren und desto rascher treiben könnte. Und der Bauer ist unersättlich
gewesen im Pflügen und ist immer vor Sonnenaufgang ausgezogen und hat oft noch
nach der Mitternacht gepflügt, und immerfort, immerfort, solange die Erde nicht
zu Stein gefroren war, Sommer und Winter. Er hat aber immer allein gepflügt
und nicht gelitten, dass jemand mit ihm gegangen oder zu ihm gekommen ist; denn
er wollte nicht sehen lassen, warum er so pflügte. Und er ist weit geplagter
gewesen als seine Pferde, welche den schönen Hafer fraßen und ordentlich Schicht
und Wechsel hielten; und er ist bleich und mager geworden von dem vielen Wachen
und Arbeiten. Seine Frau und Kinder haben keine Freude mehr an ihm gehabt; auf
die Schenken
und Gelage ist er nicht mehr gegangen und hat sich allen Leuten entzogen und
kaum ein Wort mehr gesprochen, sondern ist stumm und in sich gekehrt so für
sich hingegangen und hat des Tages auf seine Dukaten gearbeitet, und des Nachts
hat er sie zählen und darauf grübeln müssen, wie er noch einen geschwinderen
Pflug erfände. Und seine Frau und die Nachbarn haben ihn bejammert wegen seines
wunderlichen Tuns und wegen seiner Stummheit und Schwermut und haben geglaubt,
er sei närrisch geworden; auch haben alle Leute seine Frau und Kinder bedauert,
denn sie meinten, durch die vielen Pferde, die er auf dem Stalle hielt, und
durch die verkehrte Ackerwirtschaft mit dem überflüssigen Pflügen müsse er sich
um Haus und Hof bringen. So ist es aber nicht ausgefallen. Aber das ist wahr,
der arme Bauer hat keine vergnügte Stunde mehr gehabt, seit er so die Dukaten
aus der Erde pflügte, und es hat wohl mit Recht von ihm geheißen: Wer sich dem
Golde ergibt, ist schon halb in des Bösen Klauen. Auch hat er es nicht lange
ausgehalten mit diesem Laufen in den Furchen bei Tage und Nacht. Denn als der
zweite Frühling kam, ist er eines Tages hinterm Pflug hingefallen wie eine matte
Novemberfliege und vor lauter Golddurst vertrocknet und verwelkt, da er doch
ein sehr starker und lustiger Mensch war, ehe er den unterirdischen Schuh in
seine Gewalt bekam. Seine Frau aber fand nach ihm einen Schatz, zwei große vernagelte
Kisten voll heller, blanker Dukaten. Und seine Söhne haben sich große Güter
gekauft und sind Herren und Edelleute geworden. So macht der
Teufel zuweilen auch
große Herren. Aber was hat das dem armen Johann Wilde gefrommt?
(von Ernst Moritz Arndt; 1769-1860.)