Oscar A. H. Schmitz (1873-1931)


Foto: Edition Gutenberg

"Haschisch" und "Bürgerliche Bohème"

"Sehen Sie, diese Lust aus tausend Lenzen, dieses Haschischparadies darzustellen, das wäre eine große Kunst, aber wir alle reden nur davon, wir schaffen es nicht.
Die neue Kunst müßte den Haschisch, das Opium entthronen ...!"

(Aus "Der Haschischklub")

"Haschisch", ein Band mit gleichermaßen dekadenten wie anregenden Erzählungen in eleganter Sprache, gilt als Geheimtipp unter Literaturfeinspitzen mit besonderen Vorlieben.
In der im Jahr 2002 in der Edition Gutenberg erschienenen Neuauflage verortet der Herausgeber, Wilhelm W. Hemecker, in seinem einleitenden neunseitigen Essay Oscar Adolf Hermann Schmitz im Gefüge seiner Zeit und ermöglicht einen ersten Einblick in Leben und Werk des am 16. April 1873 in Homburg zur Welt gekommenen Literaten.

Schmitz, der sich während seiner Studentenjahre offenbar weniger dem strebsamen Wissenserwerb als "dem Leben an sich" widmete, sah sich erst in späteren Jahren, "nach zwei Ehekatastrophen", gezwungen, einen Brotberuf zu ergreifen - das Schreiben nämlich - was die wahre Flut an Feuilletons und Essays aus seiner Feder erklärt.
Oscar A. H. Schmitz war ein leidenschaftlich Reisender, gewissermaßen unablässig unterwegs. So lebte er u.a. in München, Salzburg, Berlin, Rom und Paris und bereiste Spanien, Nordafrika und Russland.
Bereits in jungen Jahren war er schriftstellerisch tätig, wenngleich anfangs naturgemäß noch auf der Suche nach Orientierung, nach seinem individuellen Stil.
Eine kurzzeitige literarische Heimat, wenn man so will, jedenfalls Stilsicherheit, fand Schmitz im Kreis um den gleichermaßen herausragenden wie kompromisslosen Lyriker Stefan George (1868-1933), zu dem Schmitz durch einen gemeinsamen Bekannten, Karl Wolfskehl, gestoßen war. Schmitz in seinen Memoiren über Wolfskehl: "Um keinen Mann habe ich im Leben so geworben, wie um ihn", und über den besonderen Tonfall der Literaten des George-Kreises: "Die flüchtigste Berührung mit dieser neuen Kunst war für jeden Berufenen eine sofortige Reinigung von Naturalismus und Stillosigkeit."

Oscar A. H. Schmitz gehörte in jungen Jahren der Schwabinger Bohème, einer regelrechten Keimzelle kultureller Neuorientierung, an - dazu später mehr - und pflegte zeitweilig Kontakte mit der Runde der esoterischen Kosmiker um Ludwig Klages, der, wohl seiner tristen Kindheit wegen, früh Zuflucht in Fantasiewelten gesucht hatte, und Alfred Schuler, einen Mann mit Hang zum überfrachteten Mystizismus.
Dieser Zirkel war eine der prominentesten unter zahlreichen exzentrischen Gruppen in München, wo sich Intellektuelle und Künstler sowie allerlei sonstige unbürgerliche Existenzen zu hitzigen Diskussionen und ausschweifenden Atelierfesten zusammenfanden.
Die Kosmiker hatten in schwärmerischem Fanatismus eine eigene Heilslehre von Eros und Rausch aus Versatzstücken unterschiedlicher philosophischer Ansätze entwickelt. Sie vertraten u.a. die Ansicht, die abendländische Welt sei durch und durch dem Verfall und Untergang geweiht, die Urkräfte des Lebens würden unentwegt verraten, es sei darob das Gebot der Stunde, zu den heidnisch-chthonischen Ursprüngen zurückkehren, die Erneuerung/Wiedergeburt aus den Wurzeln voranzutreiben, was lediglich wenigen Auserwählten (sogenannten "Trägern der Blutleuchte") möglich sei. Auch huldigte man einem obskuren Römer- und Germanenkult und definierte sich in wachsendem Ausmaß über die Anfeindung von Juden- und Christentum, was schließlich auch zum Bruch mit dem George-Kreis führte.
Stefan George selbst identifizierte sich - soweit bekannt - niemals mit extremem Antisemitismus und wehrte die Vereinnahmungsversuche seitens der Nationalsozialisten (z. B. deren Angebot, Präsident der "Deutschen Akademie für Dichtung" zu werden) ab.

Nachdem bereits 1896 einige seiner Gedichte in den "Blättern für die Kunst" erschienen waren, lernte Oscar A. H. Schmitz 1897 Stefan George in Paris persönlich kennen. Bei den "Blättern für die Kunst" handelte es sich um eine zwischen 1892 und 1919 in geringer Stückzahl erscheinende Literaturzeitschrift, welche nicht im Handel erhältlich war und deren Leserschaft ausschließlich aus erwählten Gleichgesinnten bestand. Man verzichtete bewusst auf Breitenwirkung; George lehnte zeitlebens jegliche Anbiederung an den Geschmack der Massen entschieden ab.
Schmitz ließ es offenbar mit der Zeit an Unterwürfigkeit gegenüber Stefan George fehlen, und dieser, der unangefochtene Meister von elitärer Gesinnung im Mittelpunkt seines Kreises, duldete weder Widerspruch noch Abweichung. Wer sich mit der Biografie Stefan Georges befasst hat, wird vielleicht schon ahnen, dass folglich auch diese Männerfreundschaft, wie so viele andere im Leben Georges, ein Ablaufdatum hatte. Als nämlich Schmitz in einem Zeitungsartikel über die Pariser Weltausstellung einen von Melchior Lechter gestalteten Saal nicht entsprechend würdigte, wandte sich der Kreis, der Lechters Arbeiten zu jener Zeit über die Maßen schätzte, auf Geheiß des Meisters von ihm ab. Freilich war dies nur der letzte, ausschlaggebende Vorfall, der den Bruch nach einer Phase der Entfremdung endgültig machte.
Melchior Lechter hatte jahrelang - bis 1907, als sich Stefan George vom prunkvollen Stil des Künstlers distanzierte - das von Jugendstilelementen bestimmte Erscheinungsbild der Gedichtbände Georges und der Publikationen des Kreises geprägt.

Schmitz widmete sich nun nicht länger der lyrischen Dichtung, sondern wandte sich der Erzählkunst zu und begann sein erstes Prosawerk, den Novellenband "Haschisch", zu schreiben, der anno 1902 veröffentlicht wurde. 1913 erschien das Buch in vierter Auflage, erweitert um dreizehn Illustrationen von Alfred Kubin (1877-1959), der seit 1904 mit Schmitz' dem Rauschgift verfallener Schwester Hedwig (gestorben 1948) verheiratet war. Der Titel von Kubins Roman "Die andere Seite" verdankt sich übrigens einem Einfall von Oscar A. H. Schmitz.
Alfred Kubins fantastischer Roman "Die andere Seite" übte einigen Einfluss auf zeitgenössische Schriftsteller (darunter Franz Kafka, Gustav Meyrink und Ernst Jünger) aus. Kubin schuf überdies auch kongeniale Illustrationen für zahlreiche Werke anderer Autoren. In seiner charakteristischen mythisch-fantastisch-visionären Strichführung bebilderte er u.a. Bücher von Gustav Meyrink, E.T.A. Hoffmann, Georg Trakl ("Offenbarung und Untergang"), Paul Scheerbart ("Lesabéndio", 1913), Oskar Panizza ("Das Liebeskonzil", 1913), F.M. Dostojewski ("Der Doppelgänger"), Edgar Allen Poe, Gerhart Hauptmann ("Fasching", 1925), Wilhelm Hauff und Ernst Jünger.

"Haschisch"

Der Band "Haschisch", übrigens das meistgelesene Prosawerk von Oscar A. H. Schmitz, trug mit einfallsreichen, abgründigen Geschichten, dargebracht in ästhetischem Plauderton über zeitlose Themen des Menschseins wie Erotik, Satanismus, Sadismus, Religion, Tod und Rausch entscheidend zum Aufschwung der fantastischen Literatur im deutschsprachigen Raum bei.
Schon allein der Titel ist geeignet, den Erwartungen einer hoffnungsfrohen Leserschaft, die sich für Schwarze Romantik begeistert, entgegenzukommen.

Im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts (Schmitz nennt keine genaue Jahreszahl) trifft der Icherzähler den unsterblichen Grafen Vittorio Alta-Carrara in Paris. Die beiden Männer begeben sich in einen Haschischklub: "Ich beschloß gleich meinen Nachbarn durch eine leichte Haschischdosis nur die Sinne zu verfeinern, die Hemmungsvorstellungen des oft ungerufen tätigen Intellekts zu beseitigen, kurz, ein gesteigertes Leben zu genießen." Gesagt, getan - darüber, ob sich Schmitz hier möglicherweise mit fremden Federn schmückt, darf gemutmaßt werden ...
Was dann folgt, sind anregende Erzählungen anderer Berauschter sowie als eigene Erlebnisse des Icherzählers konstruierte Geschichten, wobei anzunehmen ist, dass Schmitzsche Reiseerlebnisse ebenso Eingang fanden wie in Künstlerkreisen gemachte Beobachtungen und Erfahrungen.
Es herrscht ein Ton behaglicher Geschwätzigkeit, wobei das sinnliche Erleben absolute Priorität genießt.
Schmitz gebraucht gediegene Ausdrücke, gekonnt beschreibt er kuriose Begebenheiten. Sei es, dass in "Die Geliebte des Teufels" ein Deutscher eine Stelle als Kapellmeister in einer britischen Provinzstadt annehmen muss und dort zum Liebhaber einer geheimnisvollen Unbekannten wird, die in ihm den Leibhaftigen zu sehen beliebt und sich ihm nur deshalb wiederholt hingibt, wobei das wilde Treiben stets in vollkommen verdunkelten Räumlichkeiten stattfindet ["(...) zwei Menschen (...), die sich nur ihrer gegenseitigen Körper bedienten zum Vorwand für die Orgien der Phantasie."), sei es, dass in "Eine Nacht des achtzehnten Jahrhunderts" ein schamloses Spektakel besonderer Art für Aristokraten inszeniert wird, das in einem infernalischen Blutbad endet ...
Anschließend erzählt der Graf vom "Karneval" in Venedig, als er irrtümlich eine tiefgläubige Sterbenskranke beglückte, die daraufhin das Zeitliche segnete. Von Frevel und teuflischer Manipulation handelt "Die Sünde wider den Heiligen Geist": darin wird, zu Versuchszwecken quasi, die bislang unbescholtene vierzehnjährige Teresa mittels rhetorischer Spitzfindigkeiten und übler Lügen vom Pfad der Tugend auf jenen der Lasterhaftigkeit und Sünde geführt. 
"Die Botschaft", dem Bewusstwerden der Sterblichkeit gewidmet, berichtet vom Zusammentreffen des Icherzählers mit einer abstoßend welken, zudringlichen Dirne (" 'Inkubus,' murmelte eine Stimme."), doch handelt es sich um kein Wesen aus Fleisch und Blut, das da verkündet: "Nun komme ich, die Steuer an innerem Leiden zu fordern, die du dem Tod dafür schuldest, daß er dich noch leben läßt." (...) "Übrigens noch eins, daß ich es nicht vergesse: du brauchst deshalb noch lange nicht zu sterben, mein Besuch hat damit nicht das geringste zu tun. Ich bringe nur die Botschaft, daß die allererste, gedankenlose Jugend für dich verrauscht ist."
Die abschließende Geschichte trägt den Titel "Der Schmugglersteig. Eine vormärzliche Begebenheit aus den privaten Aufzeichnungen eines Journalisten". Darin erzählt ein 75Jähriger von denkwürdigen Ereignissen, die ein halbes Jahrhundert zurückliegen: Einst folgte er einer unwegsamen Felsentraße und fand sich mit einem Mal in einer seltsamen Schmugglerunterkunft wieder, wo in Felsenkammern ganze Landschaften und Schlachtfelder, Gedanken und  Ideen, politische Systeme, Träume und Hoffnungen, Leidenschaften und Todsünden, Seuchen sowie fünfhundert wundervolle, nackte Frauen aufbewahrt wurden.
Der Icherzähler wurde aufgefordert, sich etwas aus der Sammlung auszusuchen, und er zögerte keine Sekunde: "Die will ich haben ... alle 500!"
Und weil man, wie ihm erklärt wurde, ohne Geld mit so vielen Weibern nichts anfangen kann, nahm er die angebotene Million.
Ein drittes Mal noch durfte er wählen. Er wurde zu einem verborgenen Zimmer geleitet, in dem Metaphern, Anaphern, Symbole, Allegorien, Redensarten, Zitate, Sprichwörter, Witze, poetische Bilder, Weisheitssprüche und Vergleiche lagerten - eines Journalisten Handwerkszeug.
"Schenken Sie mir das Gerümpel, mich soll die Mühe nicht verdrießen!"
Freilich handelte es sich um ein unheimliches Tauschgeschäft, denn die Schmuggler waren keine edlen Gönner: Der Mann musste drei seiner Träume bei den Schmugglern zurücklassen, bevor er wieder in seine Welt gebracht wurde ...
Die drei Wünsche des Icherzählers gingen in Erfüllung, die Schmuggler hielten Wort, und der 75Jährige blickt auf ein Leben, das ihm nach und nach 500 Geliebte, eine Million und Erfolg als Journalist beschert hat, zurück.

Mitunter fühlt man sich während der Lektüre an "Tausendundeine Nacht" erinnert, an die kluge Schahrasad, die dem König Nacht für Nacht spannende Geschichten erzählt, auf dass er ihre Hinrichtung aufschiebe. Bekanntlich lautet die Überleitung von jeder ihrer Geschichten zur nächsten stets in etwa: "Da erreichte das Morgengrauen Schahrasad, und sie hörte auf zu erzählen. 'Ach Schwester', seufzte Dinarasad, 'wie köstlich und wie aufregend ist deine Geschichte!' - 'Was ist das schon', erwiderte sie, ' gegen das, was ich euch morgen nacht erzählen werde, wenn ich dann noch lebe und mich der König verschont ...'"
Bei Schmitz liest sich das so: "Der Erzähler schwieg. Ich hatte das trostlose Gefühl, daß nun etwas fertig, unwiederbringlich vorbei sei. Ein Leben hörte auf, ohne daß ich tot war. Die anderen schienen ähnliches zu empfinden. 'Eine neue Geschichte', rief jemand, 'diese Leere ist ja unerträglich!'"

Schmitz schuf, auch aus wirtschaftlicher Notwendigkeit heraus, ein umfangreiches Gesamtwerk aus Romanen, kulturpolitischen Schriften und Essays, und nicht wenige davon würden noch heute als populäre Ratgeber (beispielsweise zum Thema "Manieren") gute Figur machen.
Im Buch "Der Geist der Astrologie", das folgendermaßen eröffnet wird: "Diese Abhandlung will weder ein Lehrbuch für Neulinge ersetzen, noch beansprucht sie, den Meistern der Astrologie wesentlich Neues zu bieten; sie richtet sich vielmehr an den gebildeten Menschen unserer Zeit, der wissen möchte, was es eigentlich um die Astrologie ist, da er der Ableugnung geistiger Weltzusammenhänge von seiten der materialistischen Naturwissenschaft nicht mehr vertraut, aber ebensowenig von dem Regen in die Traufe kommen möchte, indem er sich jedem Aberglauben unter dem Namen 'Geisteswissenschaft' überließe" in der Auflage von 1922 finden sich folgende Werke von Oscar A. H. Schmitz aufgelistet:


"Die Geister des Hauses". Jugenderinnerungen.

"Das dionysische Geheimnis". Erlebnisse und Erkenntnisse eines Fahnenflüchtigen.

"Menschheitsdämmerung". Märchenhafte Geschichten.

"Brevier für Einsame". Fingerzeige zu neuem Leben.

"Brevier für Unpolitische". Wegweiser zum öffentlichen Leben.

"Das rätselhafte Deutschland". (Das mögliche Deutschland * Das unmögliche Deutschland * Wie sichert sich die Gesellschaft gegen Diktaturen * Schluß)

"Scheinwerfer über Europa". Rußland, Skandinavien, Südosteuropa, Italien, Frankreich.

"Englands politisches Vermächtnis an Deutschland" durch Benjamin Disraeli, Lord Beaconsfield (Die Kunst der Politik)

"Das Land ohne Musik". Englische Gesellschaftsprobleme.

"Was uns in Frankreich war". Das Land der Wirklichkeit.

"Das wirkliche Deutschland". Die Wiedergeburt durch den Krieg.

"Die Weltanschauung der Halbgebildeten".

"Fahrten ins Blaue". Ein Mittelmeerbuch.

"Casanova und andere Charaktere aus der grossen Welt".

"Brevier für Weltleute". Essays über Gesellschaft, Mode, Frauen, Reisen, Lebenskunst, Kunst, Philosophie.

"Bürgerliche Bohème". Ein Sittenroman aus dem Deutschland vor dem Weltkriege, 7. Auflage von "Wenn wir Frauen erwachen".

"Herr von Pepinster und sein Popanz". Geschichten vom Doppelleben. Mit 14 Zeichnungen von Alfred Kubin.

"Haschisch". Phantastische Erzählungen.

"Don Juan und die Kurtisane". 5 Einakter.

"Ein deutscher Don Juan". Komödie in drei Aufzügen.

"Der hysterische Mann". Lustspiel in drei Aufzügen.

"Orpheus". Lieder des Fahrenden. De profundis. Katafalke. Rom.

"Der österreichische Mensch". Zum Anschauungsunterricht für Europäer, insbesondere für Reichsdeutsche.

"Charakterspieler auf der Weltbühne"

Danach erschienen u.a. noch "Melusine. Der Roman eines Staatsmannes", "Tragikomödie der Geschlechter oder die Entfremdung zwischen Mann und Weib", "Psychoanalyse und Yoga", "Wege zur Reife. Das Ende der Jugendkonjunktur" und "Geschichten im Zwielicht".
Die allermeisten dieser Werke sind mittlerweile - wenn überhaupt - nur noch in Antiquariaten zu finden.

"Bürgerliche Bohème"
Neben "Haschisch" wurde lediglich einem Roman die Ehre zuteil wiederaufgelegt zu werden, nämlich "Bürgerliche Bohème - Ein Sittenroman aus dem Deutschland vor dem Weltkriege", zuvor auch unter dem Titel "Wenn wir Frauen erwachen" publiziert. Dieses Werk gilt als autobiografisch inspirierter Schlüsselroman. Obwohl das Werk durchaus kulturhistorische Aspekte aufweist, gehört es doch eher dem Genre Unterhaltungsliteratur an. "Bürgerliche Bohème" zeichnet ein satirisches Sittenbild der Münchner Oberschicht zur Zeit der Jahrhundertwende (19./20. Jhdt.). Einige Prominente der damaligen Zeit mussten sich zwangsläufig in Romanfiguren wiedererkennen und wurden erkannt, darunter beispielsweise Franziska Gräfin zu Reventlow, Karl Wolfskehl und auch Stefan George.
Jedoch ist anzumerken, dass dem Dandy Schmitz, der allergrößten Wert auf gepflegte Umgangsformen legte, nichts fremder war, als die Würde der Porträtierten in den Schmutz zu ziehen oder gar willkürlich taktlos zu handeln, vielmehr war er Menschenkenner genug, feine Nuancen differenziert herauszuarbeiten, um dem jeweiligen realen Modell gerecht zu werden, was manchem Betroffenen mehr, manchem weniger schmeicheln musste, wie es in der Natur der Sache lag.
Franziska Gräfin zu Reventlow schrieb zu jener Zeit ebenfalls an einem Roman, der die Münchner Bohème, genauer die Mitglieder des George-Kreises,  zum Thema hatte und kurz nach Schmitz' Roman unter dem Titel "Herrn Dames Aufzeichnungen, oder Begebenheiten aus einem merkwürdigen Stadtviertel" erschien. Dementsprechend äußerte sich gerade Franziska Gräfin zu Reventlow wenig begeistert über das Oeuvre des ihr zuvorgekommenen "Konkurrenten", der den Lebenslauf der Protagonistin seines Romans noch dazu unverkennbar mit Details aus dem bewegten Dasein der Gräfin ausgestattet hatte ...
Amélie, die Hauptfigur in "Bürgerliche Bohème", stammt aus großbürgerlichem Milieu und unternimmt als junge Frau allerlei, um sowohl als Künstlerin wie auch als Dame der Gesellschaft in München Fuß zu fassen; Motto: Liebeleien, Ferkeleien, Münchner Faschingsfeiern, ...
Die zunächst noch charakterlich ungefestigte, bis zu ihrer Verehelichung konsequente Halbjungfrau wird ein "Malweib" (so wurden die zwecks künstlerischer Unterweisung nach München pilgernden Nachwuchsmalerinnen von den Ortsansässigen genannt), heiratet, wird geschieden, heiratet abermals und entfaltet Stück für Stück reife Selbstbestimmtheit.
Schmitz geht in "Bürgerliche Bohème" auch auf humorvolle Weise mit den Ungereimtheiten der Frauenbewegung ins Gericht, indem er einfühlsam Widersprüche zwischen emanzipatorischen Forderungen und konkretem Begehren aufzeigt, beispielsweise, was die weibliche Sexualität anbelangt, wie er überhaupt zeitgeistige Strömungen einer kritischen Betrachtung unterzieht.
Auch jenes denkwürdige Maskenfest bei Karl Wolfskehl im Fasching des Jahres 1903, wo der Gastgeber als Dionysos, Alfred Schuler als Magna mater und Stefan George als Cäsar kostümiert, umgeben von bekränzten Knaben, erschienen, findet seinen Niederschlag. (Schmitz hatte die Gesänge der Faschingsgesellschaft damals am Flügel begleitet.)
Schlüpfrige Passagen, die sich natürlich vortrefflich zum Weitererzählen hinter vorgehaltener Hand eigneten, und die Lust der Leserschaft, die wahren Identitäten der Romanfiguren aufzudecken, machten den besonderen Reiz von "Bürgerliche Bohème" für Schmitz' Zeitgenossen aus.

Anzumerken wäre noch, dass sich Schmitz in späteren Jahren kulturkritischen Fragen der Politik und Gesellschaft zuwandte und sich lebhaft für die Psychoanalyse interessierte.
Oscar A. H. Schmitz starb am 17. Dezember 1931.

(kre)


Oscar A. H. Schmitz: "Haschisch"
Steirische Verlagsgesellschaft, 2002. 136 Seiten.
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"Bürgerliche Bohème"
Herausgegeben und mit einem Nachwort von Monika Dimpfl und Carl-Ludwig Reichert.
Weidle Verlag, 2001. 448 Seiten.
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Werke von Oscar A. H. Schmitz in Antiquariaten aufstöbern ...

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Oscar A.H. Schmitz: "Ein Dandy auf Reisen. Tagebücher 1906-1912"
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Januar 1907: Das Pariser Abenteuer liegt hinter ihm, genauso wie zwei gescheiterte Ehen. Die Münchner Boheme stößt ihn ab. In Wien begegnet Schmitz Peter Altenberg, Alfred Polgar, Hugo von Hofmannsthal, er verbringt die Abende mit Stefan Zweig und hat einen Termin bei Sigmund Freud. Doch den Lebemann treibt die Sucht nach einem rauschhaften Leben fort. Immer exotischer werden die Reiseziele: Spanien, Algerien, Marokko, die Kanarischen Inseln, eine Fahrt auf dem Nil, Jerusalem, Jericho, Haifa und Damaskus. Die Impressionen sind durchsetzt von sexuellen Obsessionen. Endlich scheint er die große Liebe zu finden. Doch schon bald ist der rastlose Don Juan wieder allein. Er begibt sich auf die gefährlichste Reise - die zum eigenen Ich. Und das liegt im Land der Dämonen. (Aufbau Verlag)
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Oscar A.H. Schmitz: "Durch das Land der Dämonen. Tagebücher 1912-1918"
Herausgeber: Wolfgang Martynkewicz. (Aufbau Verlag)
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Alfred Kubin: "Aus meinem Reich - Meisterblätter aus dem Leopold Museum, Wien"

Hrsg. Rudolf Leopold, Romana Schuler für die Leopold Museum Privatstiftung, Text von Fritz Koreny, Rudolf Leopold, Romana Schuler.
Alfred Kubin ist einer der avanciertesten fantastischen Zeichner des 20. Jahrhunderts. 1877 in böhmischen Leitmeritz geboren, verbrachte Kubin seine Jugend und Studienzeit an der Kunstgewerbeschule in Salzburg. Später folgte Zeichenunterricht und ein Kunststudium in München. Angeregt durch seine Auseinandersetzung mit den Philosophien Schopenhauers und Nietzsches, künstlerisch beeinflusst von Goya, Klinger, Ensor, Redon, Rops und Munch, findet Kubin um die Jahrhundertwende zu seiner eigenständigen kubinesken Motivik, verwurzelt in Traumvorstellungen. Er bezeichnet seine Bildsprache als einen lebensnotwendigen "Ausweg ins Unwirkliche": gespenstische Motive, Mischwesen, Varianten von Qual und Selbstqual, Traum, Vampirismus, Spiritualismus, Dekadenz, Erotik, Tod und Geburt. Sein außergewöhnliches Gesamtwerk besteht aus über 20.000 Zeichnungen, darunter eine große Anzahl von Federzeichnungen und Mappenwerken sowie Illustrationen zu mehr als 70 Büchern, in denen sich seine düstere Weltsicht manifestiert. Eine repräsentative Auswahl von Meisterblättern des fantastischen Multitalents präsentiert dieser Band. (Hatje Cantz)
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Alfred Kubin: "Die andere Seite. Ein phantastischer Roman"
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