Else Lasker-Schüler (1869-1945)


"In Theben geboren"

"Ich bin achtzehn oder tausend." (Else Lasker-Schüler, nach ihrem Alter gefragt)

"Ich bin in Theben (Ägypten) geboren, wenn ich auch in Elberfeld zur Welt kam, im Rheinland. Ich ging bis 11 Jahre zur Schule, wurde Robinson, lebte fünf Jahre im Morgenlande, und seitdem vegetiere ich." (Else Lasker-Schüler)

"Man konnte weder damals noch später mit ihr über die Straße gehen, ohne dass alle Welt stillstand und ihr nachsah: extravagante weite Röcke oder Hosen, unmögliche Obergewänder, Hals und Arme behängt mit auffallendem, unechtem Schmuck, Ketten, Ohrringen, Talmiringe an den Fingern, und da sie sich unaufhörlich die Haarsträhnen aus der Stirn strich, waren diese, man muss schon sagen: Dienstmädchenringe, immer in aller Blickpunkt." (Gottfried Benn über Else Lasker-Schüler)

"Sie aß nie regelmäßig, oft lebte sie wochenlang von Nüssen und Obst. Sie schlief oft auf Bänken und sie war arm in allen Lebenslagen und zu allen Zeiten. Das war der Prinz von Theben, Jussuf, Tino von Bagdad, der schwarze Schwan. Und dies war die größte Lyrikerin, die Deutschland hatte." (Gottfried Benn über Else Lasker-Schüler)

Von kulturellen wie religiösen Schnittstellen, den Farbtönen der Einsamkeit und den sprachlichen Schleiertänzen einer Außenseiterin und Vertriebenen

Else Lasker-Schüler, von Vertrauten "Els" genannt, wurde am 11. Februar 1869 als sechstes Kind des Privatbankiers Aaron und seiner Frau Jeanette Schüler in Wuppertal Elberfeld in gehobene Verhältnisse hinein geboren.
Doch ihr weiterer Lebensweg verlief nicht eben in konventionellen Bahnen, sie war eine starke Persönlichkeit voller Widersprüche.

1894 kam Else Lasker-Schüler mit ihrem Ehemann, dem Arzt Berthold Lasker, von dem sie im Jahre 1903 geschieden wurde, nach Berlin und widmete sich der Malerei. Durch Peter Hille fand sie Zugang zu den Berliner Künstlerzirkeln.
1899 kam der Sohn Paul zur Welt, als dessen Vater nicht Berthold Lasker angenommen wird, und der 1927 an Tuberkulose starb.
1902 erschien ihr erster Gedichtband mit dem Titel "Styx". In den folgenden Jahren verband Else Lasker-Schüler eine inspirierende Liebesbeziehung mit Gottfried Benn, der als "Giselheer" in einigen ihrer Gedichte verewigt wurde.
Ihrem Freundeskreis gehörten u.a. Karl Kraus, Georg Trakl, Franz Werfel und die Maler Oskar Kokoschka und Franz Marc an.

Ein alter Tibetteppich

Deine Seele, die die meine liebet
Ist verwirkt mit ihr im Teppichtibet

Strahl in Strahl, verliebte Farben,
Sterne, die sich himmellang umwarben.

Unsere Füsse ruhen auf der Kostbarkeit
Maschentausendabertausendweit.

Süsser Lamasohn auf Moschuspflanzentron
Wie lange küsst dein Mund den meinen wohl
Und Wang die Wange buntgeknüpfte Zeiten schon.

(Else Lasker-Schüler)


1903 heiratete sie abermals, und zwar den Schriftsteller Georg Levin, genannt Herwarth Walden. 1912 zerbrach auch diese Ehe; Else Lasker-Schüler war völlig verarmt und auf die Hilfsbereitschaft und Unterstützung ihrer Freunde angewiesen. 

1932 erhielt die Autorin, die ihre Vorträge als Inszenierungen betrachtete, den "Kleist-Preis". 1933 emigrierte sie und lebte ohne festen Wohnsitz, zumeist in Hotels, in der Schweiz, unternahm drei Reisen nach Palästina.

Else Lasker-Schüler starb am 22. Jänner 1945 im unfreiwilligen Exil, in Jerusalem, da sie die Kriegsereignisse an der Rückkehr von ihrer dritten Palästina-Reise gehindert hatten; ihr Werk war zu dieser Zeit bedauerlicherweise weitgehend in Vergessenheit geraten und wurde erst nach dem Tod der Dichterin wieder entdeckt.

Der Titel des Gedichtbandes "In Theben geboren" mag sich zum Einen aus der Dichterin Vorliebe für Verkleidungen, ihrem Hang zur Selbststilisierung, wie auch aus der Figur des imaginären "Prinzen Jussuf von Theben", in dessen Rolle sie bisweilen schlüpfte, den Rollenzwängen einer weitgehend verstockten Mitmenschenwelt zu entkommen und eine Gegenwelt der Versöhnung, der Toleranz zu erschaffen, zum Anderen aus dem werkbezogenen Kontext erklären.
Wie auch immer: Die Wahrnehmung einer als ungastlich erlebten Realität durch die Brille der sinnlichen Poetisierung zu betrachten, wodurch das Dasein erträglicher schien und mitunter auch war (und ist), stellt eine Möglichkeit dar, sich dem Werk Else Lasker-Schülers, das neben Lyrik auch Prosatexte und Dramen umfasst, anzunähern. Die Werke dieser Dame mit dem Hang zum Orientalisch-Märchenhaften zu entdecken, ist ein reizvolles Unterfangen für empfindsame Leser, die Gattungsüberschreitungen und Stilpluralismus eines androgynen lyrischen Ich zu schätzen wissen.

"In Theben geboren" reiht die Gedichte der Chronologie ihrer Entstehung folgend. Darin finden sich neben biblischen Motiven (z.B. "Moses und Josua", "Abigail") und scheinbar naiven Ansätzen ("Mein blaues Klavier", "Im Anfang") auch mehr oder minder verschleierte erotische Anspielungen (beispielsweise in "Meine Schamröte", "Pharao und Joseph", "Dem Holden").
Abgerundet wird der Band durch ein umfassendes Nachwort der Herausgeberin Ruth Klüger.

Übrigens widmete Else Lasker-Schüler zwei ihrer Gedichte Georg Trakl:

Georg Trakl

Seine Augen standen ganz fern -
Er war als Knabe einmal schon im Himmel.

Darum kamen seine Worte hervor
Auf blauen und weißen Wolken.

Wir stritten über Religion,
Aber immer wie zwei Spielgefährten,

Und bereiteten Gott von Mund zu Mund.
Im Anfang war das Wort.

Des Dichters Herz, eine feste Burg,
Seine Gedichte: Singende Thesen.

Er war wohl Martin Luther.

Seine dreifaltige Seele trug er in der Hand,
Als er in den heiligen Krieg zog.

- Dann wußte ich, er war gestorben -

Sein Schatten weilte unbegreiflich
Auf dem Abend meines Zimmers.

Georg Trakl

Georg Trakl erlag im Krieg von eigener Hand gefällt.
So einsam war es in der Welt. Ich hatt ihn lieb.
(Anlässlich des Todes des Dichters)

 

 

 

 

 

 


Und Georg Trakl widmete Else Lasker-Schüler das folgende Gedicht:

Abendland

4. Fassung

Else Lasker-Schüler in Verehrung

1

Mond, als träte ein Totes
Aus blauer Höhle,
Und es fallen der Blüten
Viele über den Felsenpfad.
Silbern weint ein Krankes
Am Abendweiher,
Auf schwarzem Kahn
Hinüberstarben Liebende.

Oder es läuten die Schritte
Elis’ durch den Hain
Den hyazinthenen
Wieder verhallend unter Eichen.
O des Knaben Gestalt
Geformt aus kristallenen Tränen,
Nächtigen Schatten.
Zackige Blitze erhellen die Schläfe
Die immerkühle,
Wenn am grünenden Hügel
Frühlingsgewitter ertönt.

2

So leise sind die grünen Wälder
Unsrer Heimat,
Die kristallne Woge
Hinsterbend an verfallner Mauer
Und wir haben im Schlaf geweint;
Wandern mit zögernden Schritten
An der dornigen Hecke hin
Singende im Abendsommer,
In heiliger Ruh
Des fern verstrahlenden Weinbergs;
Schatten nun im kühlen Schoß
Der Nacht, trauernde Adler.
So leise schließt ein mondener Strahl
Die purpurnen Male der Schwermut.

3

Ihr großen Städte
Steinern aufgebaut
In der Ebene!
So sprachlos folgt
Der Heimatlose
Mit dunkler Stirne dem Wind,
Kahlen Bäumen am Hügel.
Ihr weithin dämmernden Ströme!
Gewaltig ängstet
Schaurige Abendröte
Im Sturmgewölk.
Ihr sterbenden Völker!
Bleiche Woge
Zerschellend am Strande der Nacht,
Fallende Sterne.

(Georg Trakl; 3.2.1887 - 3.11.1914)

(kre)


Else Lasker-Schüler: "In Theben geboren. Gedichte"
Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Ruth Klüger.
Suhrkamp. 112 Seiten.
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