... aus "Leonce und Lena" von Georg Büchner ...

Erster Akt
Dritte Szene
Leonce. Valerio.

   Valerio. Da leugne einer die Vorsehung. Seht, was man nicht mit einem Floh ausrichten kann. Denn wenn es mich nicht heute Nacht überlaufen hätte, so hätte ich nicht den Morgen mein Bett an die Sonne getragen und hätte ich es nicht an die Sonne getragen, so wäre ich damit nicht neben das Wirtshaus zum Mond geraten und wenn Sonne und Mond es nicht beschienen hätten, so hätte ich aus meinem Nachtsack keinen Weinkeller machen und mich darin betrinken können. Und wenn dies alles nicht geschehen wäre, so wäre ich jetzt nicht in Ihnen skalritiert und von der Sonne ausgetrocknet, sondern würde ein Stück Fleisch tranchieren und eine Bouteille Wein austrocknen - im Hotel nämlich.
Leonce. Ein erbaulicher Lebenslauf!

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Zweiter Akt
Zweite Szene
Das Wirtshaus auf einer Anhöhe, an einem Fluß,
weite Aussicht. Ein Garten vor demselben.
Valerio. Leonce.

   Valerio. Nun Prinz, liefern Ihre Hosen nicht ein köstliches Getränk? Laufen Ihnen Ihre Stiefel nicht mit der größten Leichtigkeit die Kehle hinunter?
   Leonce. Siehst du die alten Bäume, die Hecken, die Blumen, das alles hat seine Geschichten, seine lieblichen, heimlichen Geschichten. Siehst du die großen, freundlichen Gesichter unter den Reben an der Haustüre? Wie sie sitzen und sich bei den Händen halten und angst haben, daß sie so alt sind und die Welt noch so jung ist. O Valerio, und ich bin so jung, und die Welt ist so alt. Ich bekomme manchmal eine Angst um mich und könnte mich in eine Ecke setzen und heiße Tränen weinen aus Mitleid mit mir.
   Valerio (gibt ihm ein Glas). Nimm diese Glocke, diese Taucherglocke, und senke dich in das Meer des Weines, daß es Perlen über dir schlägt. Sieh, wie die Elfen über den Kelch der Weinblume schweben, goldbeschuht, die Cymbeln schlagend.
   Leonce (aufspringend). Komm Valerio, wir müssen was treiben, was treiben. Wir wollen uns mit tiefen Gedanken abgeben, wir wollen untersuchen, wie es kommt, daß der Stuhl nur auf drei Beinen steht und nicht auf zweien. Komm, wir wollen Ameisen zergliedern, Staubfäden zählen; ich werde es doch noch zu einer Liebhaberei bringen. Ich werde doch noch eine Kinderrassel finden, die mir erst aus der Hand fällt, wenn ich Flocken lese und an der Decke zupfe. Ich habe noch eine gewisse Dosis Enthusiasmus zu verbrauchen; aber wenn ich alles recht warm gekocht habe, so brauche ich eine unendliche Zeit, um einen Löffel zu finden, mit dem ich das Gericht esse, und darüber steht es ab.
   Valerio. Ergo bibamus! Diese Flasche ist keine Geliebte, keine Idee, sie macht keine Geburtsschmerzen, sie wird nicht treulos, sie bleibt eins vom ersten Tropfen bis zum letzten. Du brichst das Siegel, und alle Träume, die in ihr schlummern, sprühen dir entgegen. (...)


(Georg Büchner; 17.10.1813 - 19.2.1837)


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