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Die Gruft war nicht so groß und prächtig, wie Kazu erwartet hatte. Aber der graue Grabstein mit dem eingravierten Sippenzeichen zeugte von alter Herkunft und dem Stolz einer vornehmen Familie. Das war etwas nach Kazus Herzen. Unter diesem Grabstein ruhten Generationen einer ruhmreichen Familie, deren Stammbaum keinerlei Makel aufwies. Vor dem Grab kniete Kazu unter dem Schirm, den Noguchi über sie hielt, und betete ungewöhnlich lange.
Der Weihrauch qualmte in der regenschweren Luft, umfing Kazus Haare und blieb in ihren Locken hängen. Sein starker Duft machte Kazu schwindeln vor Glück. Was für eine makellose, stolze Familie! Sie selber hatte zwar keine Gelegenheit gehabt - nicht einmal am Tage der Hochzeit -, ein lebendes Mitglied der Familie kennenzulernen; aber in ihrer Vorstellung waren die Verstorbenen alle von hoher Gesinnung und hatten das Blut der Familie von jedem verderblichen Einfluß freigehalten. Quälende Armut, Kriecherei, Lügen, Erbärmlichkeiten - so etwas war undenkbar bei ihnen. Verworrene Erinnerungen an Gelage in ländlichen Gasthäusern; betrunkene Kunden, die ihre Hände nach der Brust eines unschuldigen Mädchens ausstreckten; ein von zu Hause fortgelaufenes junges Ding, das bebend vor Angst einen Nachtzug besteigt; schmale Hintergassen in der Großstadt; gekaufte Zärtlichkeiten; kleine Listen, um sich selber zu beschützen; herrische Küsse kaltherziger Männer; mit Verachtung gemischte Vertraulichkeiten; Rachegelüste gegen einen unbekannten Widersacher - solche Erlebnisse gab es nicht in dieser Familie. Sicher hatten Mitglieder dieser Sippe schon in einem französischen Restaurant gespeist oder irgendeinem Kanarienvogel Futter gegeben, während die blutjunge Kazu noch die Wäsche einer Herrin wusch.
Jetzt gehörte sie zu derselben Familie, und eines Tages würde sie in derselben Gruft beigesetzt werden. Was für eine Beruhigung! Und was für ein Betrug an der Gesellschaft, mit dieser Familie zu verschmelzen, nie mehr von ihr getrennt werden zu können! Geborgenheit und Betrug wären vollkommen, wenn Kazu erst einmal hier beerdigt sein würde. Denn trotz allen Erfolges, trotz ihres Vermögens und ihrer Freigebigkeit hatte sich die Gesellschaft nicht von Kazu täuschen lassen. Mit Lug und Trug hatte sie ihre Karriere begonnen, und als letztes würde sie die Ewigkeit selbst betrügen. Das würde der Rosenstrauß sein, den Kazu der Welt zuwerfen wollte.
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(aus "Nach dem Bankett" von Yukio Mishima)