(...) Auf dem Brett war unterdes Verwirrung entstanden. Unmutig trippelte der König im weißen Umhang auf seinem Feld und hob verzweifelt die Arme. Drei weiße Bauern, Landsknechte mit Hellebarden, blickten bestürzt auf den Offizier, der den Degen schwenkte und nach vorn wies, wo auf zwei Nachbarfeldern, einem weißen und einem schwarzen, Volands schwarze Ritter auf feurigen Rappen saßen, die mit den Hufen ihr Feld stampften.
Margarita sah mit großem Erstaunen und Interesse, daß die Schachfiguren lebendig waren.
Der Kater nahm das Glas von den Augen und knuffte seinen König in den Rücken. Der barg verzweifelt das Gesicht in den Händen.
"Schlimm steht`s, teurer Behemoth", sagte Korowjew leise und giftig.
"Die Lage ist ernst, aber keineswegs hoffnungslos", entgegnete Behemoth, "mehr noch: Ich bin vom Endsieg fest überzeugt. Ich muß nur mal gründlich die Stellung analysieren."
Diese Analyse nahm er auf ziemlich seltsame Weise vor: Er schnitt Grimassen und zwinkerte seinem König zu.
"Das nützt nichts", bemerkte Korowjew.
"Au!" schrie Behemoth. "Die Papageien sind weggeflogen, ich hab`s Euch ja gesagt!"
Tatsächlich hörte man in der Ferne das Rauschen zahlloser Flügel. Korowjew und Asasello stürzten aus dem Zimmer.
"Der Teufel soll euch holen samt euren Ballattraktionen!" knurrte Voland und ließ kein Auge von seinem Globus.
Kaum waren Korowjew und Asasello verschwunden, da nahm Behemoths Zwinkern verstärkte Ausmaße an. Der weiße König begriff endlich, was von ihm erwartet wurde. Er riß den Umhang von den Schultern, warf ihn auf das Feld und flüchtete vom Brett. Der Offizier legte den weggeworfenen Königsmantel an und nahm den Platz des Königs ein.
Korowjew und Asasello kehrten zurück.
"Schwindel, wie immer", murrte Asasello mit einem Seitenblick auf Behemoth.
"Mir war aber so, als ob ich`s gehört hätte", antwortete der Kater.
"Was ist, soll das noch lange so gehen?" fragte Voland. "Schach dem König."
"Ich habe mich wohl verhört, Maitre", antwortete der Kater, "es gibt kein Schach dem König, und es kann keins geben."
"Ich wiederhole, Schach dem König."
"Messere", entgegnete der Kater mit geheuchelter Besorgnis in der Stimme, "Ihr seid übermüdet, es gibt kein Schach dem König!"
"Der König steht auf dem Feld g 2", sagte Voland, ohne aufs Brett zu blicken.
"Messere, ich bin entsetzt", heulte der Kater, und seine Visage zeigte Entsetzen, "auf diesem Feld steht kein König!"
"Was soll das?" fragte Voland unmutig und blickte aufs Brett, wo der Offizier auf dem Königsfeld sich abwandte und die Hand vors Gesicht hielt.
"Ach, du Halunke", sagte Voland nachdenklich.
"Messere, ich wende mich an die Logik!" sagte der Kater und drückte die Pfoten an die Brust. "Wenn ein Spieler dem König Schach bietet und der König überhaupt nicht mehr auf dem Brett ist, gilt das Schach als unwirksam!"
"Gibst du auf oder nicht?" schrie Voland mit furchtbarer Stimme.
"Gestattet mir zu überlegen", antwortete der Kater friedlich, stützte die Ellbogen auf den Tisch, die Ohren in die Pfoten und dachte nach. Er dachte lange nach, und endlich sagte er: "Ich gebe auf."
"Man sollte die sture Bestie totschlagen", flüsterte Asasello.
"Ja, ich gebe auf", sagte der Kater, "aber nur deshalb, weil ich in einer Atmosphäre des Kesseltreibens seitens meiner Neider nicht spielen kann!" Er erhob sich, die Schachfiguren schlüpften ins Kästchen. (...)


aus "Der Meister und Margarita" von Michail Bulgakow
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