Die ganze Nacht hindurch ruft Gott nach uns

Bleib eine einzige Nacht wach, mein lieblicher Freund,
Und die Schätze der Ewigkeit werden dir alle erscheinen.
Die Sonne des Unsichtbarn wird dich die ganze Nacht wärmen,
Des Geheimnisses Salbe wird dir die Augen entschleiern.
Heut Nacht, ich fleh dich an, bezwing dich, schlaf nicht ein,
Dass sich dir diese Herrlichkeit eröffne!
Nur nachts lässt Schönheit alle Hüllen fallen,
Der Schlafende hört niemals ihren Ruf.
War es nicht Nacht, als Moses jenen Busch sah
Und dessen Ruf vernahm, heranzutreten?
Tiefe Nacht war`s, als er so lange wanderte,
Dass er einen Busch erblickte, von Flammen überstrahlt.
Der Arbeit gilt der Tag, die Nacht der Liebe,
Dass keines Neiders Auge etwas sehe.
Der Rest der Welt mag schlafen; wahre Liebende
Flüstern die ganze Nacht hindurch mit Gott ...
Die ganze Nacht hindurch ruft Gott uns zu:
"Wach auf, nutz diese Zeit, du armer Mensch!
Wenn nicht, wirst du dereinst vor Reue brennen,
Wenn deine Seele sich vom Körper löst."


(aus den Oden von Rumi)