Wen der Teufel im Tiergarten traf

Ich saß, es mögen bald drei Jahre sein, an einem schönen Sommerabend im Tiergarten zu Berlin, nicht weit vom Weberischen Zelt; ich betrachtete mir die bunte Welt um mich her und hatte großes Wohlgefallen an ihr; war es doch schon wieder ganz anders geworden als zu der frommen Zeit Anno dreizehn und fünfzehn, wo alles so ehrbar, und, wie sie es nannten, altdeutsch zuging, daß es mich nicht wenig ennuyierte. Besonders über die schönen Berlinerinnen konnte ich mich damals recht ärgern; sonst ging es sonntags nachmittags mit Saus und Braus nach Charlottenburg oder mit Jubel und Lachen die Linden entlang nach dem Tiergarten heraus; aber damals –? Jetzt aber ging es auch wieder hoch her. Das Alte war dem Neuen gewichen, Lust und Leben wie früher zog durch die grünen Bäume, und der Teufel galt wieder was, wie vor Zeiten, und war ein geschätzter, angesehener Mann.
Ich konnte mich nicht enthalten, einen Gang durch die buntgemischte Gesellschaft zu machen. Die glänzenden Militärs von allen Chargen mit ihren ebenso verschieden chargierten Schönen, die zierlichen Elegants und Elegantinnen, die Mütter, die ihre geputzten Töchter zu Markt brachten, die wohlgenährten Räte mit einem guten Griff der Kassengelder in der Tasche, und Grafen, Baronen, Bürger, Studenten und Handwerksbursche, anständige und unanständige Gesellschaft – sie alle um mich her, sie alle auf dem vernünftigsten Wege, mein zu werden! In fröhlicher Stimmung ging ich weiter und weiter, ich wurde immer zufriedener und heiterer.
Da sah ich, mitten unter dem wogenden Gewühl der Menge ein paar Männer an einem kleinen Tischchen sitzen, welche gar nicht recht zu meiner fröhlichen Gesellschaft taugen wollten. Den einen konnte ich nur vom Rücken sehen, es war ein kleiner beweglicher Mann, schien viel an seinen Nachbar hin zu sprechen, gestikulierte oft mit den Armen, und nahm nach jedem größeren Satz, den er gesprochen, ein erkleckliches Schlückchen dunkelroten Franzweins zu sich.
Der andere mochte schon weit vorgerückt in Jahren sein, er war ärmlich aber sauber gekleidet, beugte den Kopf auf die eine Hand, während die andere mit einem langen Wanderstab wunderliche Figuren in den Sand beschrieb, er hörte mit trübem Lächeln dem Sprechenden zu und schien ihm wenig, oder ganz kurz zu antworten.
Beide Figuren hatten etwas mir so Bekanntes, und doch konnte ich mich im Augenblick nicht entsinnen, wer sie wären. Der kleine Lebhafte sprang endlich auf, drückte dem Alten die Hand, lief mit kurzen schnellen Schritten, heiser vor sich hinlachend, hinweg, und verlor sich bald ins Gedränge. Der Alte schaute ihm wehmütig nach und legte dann die tiefgefurchte Stirne wieder in die Hand.
Ich besann mich auf alle meine Bekannten, keiner paßte zu dieser Figur; eine Ahnung durchflog mich, sollte es – doch was braucht der Teufel viel Komplimente zu machen? Ich trat näher, setzte mich auf den Stuhl, welchen der andere verlassen hatte, und bot dem Alten einen guten Abend.
Langsam erhob er sein Haupt und schlug das Auge auf, ja er war es, es war der Ewige Jude.
»Bon soir, Brüderchen!« sagte ich zu ihm, »es ist doch schnackisch, daß wir einander zu Berlin im Tiergarten wiederfinden, es wird wohl so achtzig Jährchen sein, daß ich nicht mehr das Vergnügen hatte?«
Er sah mich fragend an; »So, du bist's?« preßte er endlich heraus; »hebe dich weg, mit dir habe ich nichts zu schaffen!«
»Nur nicht gleich so grob, Ewiger«, gab ich ihm zur Antwort; »wir haben manche Mitternacht miteinander vertollt, als du noch munter warst auf der Erde, und so recht systematisch lüderlich lebtest, um dich selbst bald unter den Boden zu bringen. Aber jetzt bist du, glaube ich, ein Pietist geworden.«
Der Jude antwortete nicht, aber ein hämisches Lächeln, das über seine verwitterten Züge flog, wie ein Blitz durch die Ruine, zeigte mir, daß er mit der Kirche noch immer nicht recht einig sei.
»Wer ging da soeben von dir hinweg?« fragte ich, als er noch immer auf seinem Schweigen beharrte.
»Das war der Kammergerichtsrat Hoffmann«, erwiderte er.
»So der? ich kenne ihn recht wohl, obgleich er mir immer ausweicht wie ein Aal; war ich ihm doch zu mancher seiner nächtlichen Phantasien behülflich, daß es ihm selbst oft angst und bange wurde, und habe ich ihm nicht als sein eigener Doppelgänger über die Schultern geschaut, als er an seinem Kreisler schrieb? als er sich umwandte und den Spuk anschaute, rief er seiner Frau, daß sie sich zu ihm setze, denn es war Mitternacht und seine Lampe brannte trüb. – So, so, der war's? und was wollte er von dir, Ewiger?«
»Daß du verkrümmest mit deinem Spott; bist du nicht gleich ewig wie ich, und drückt dich die Zeit nicht auch auf den Rücken? Nenne den Namen nicht mehr, den ich hasse! Was aber den Herrn Kammergerichtsrat Hoffmann betrifft«, fuhr er ruhiger fort, »so geht er umher, um sich die Leute zu betrachten; und wenn er einen findet, der etwas Apartes an sich hat, etwa einen Hieb aus dem Narrenhaus, oder einen Stich aus dem Geisterreich, so freut er sich baß und zeichnet ihn mit Worten oder mit dem Griffel. Und weil er an mir etwas Absonderliches verspürt haben mag, so setzte er sich zu mir, besprach sich mit mir und lud mich ein, ihn in seinem Haus auf dem Gendarmenmarkt zu besuchen.«
»So, so? und wo kommst du denn eigentlich her? wenn man fragen darf?«
»Recta aus China«, antwortete Ahasverus, »ein langweiliges Nest, es sieht gerade aus, wie vor fünfzehnhundert Jahren, als ich zum erstenmal dort war.«
(...)


(aus "Mitteilungen aus den Memoiren des Satans" von Wilhelm Hauff)
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