Die Bestattungsrituale im Judentum

Muss ich auch wandern in finsterer Schlucht, ich
fürchte kein Unheil; denn du bist bei mir, dein Stock
und dein Stab geben mir Zuversicht.
Psalmen 23:4

   Zwischen den einzelnen jüdischen Glaubensgemeinschaften gibt es zwar Unterschiede in den jeweiligen Beerdigungssitten und -gebräuchen, die meisten sterbenden Juden fühlen sich jedoch getröstet, wenn sie speziell ein Gebet, das Schma, hören: "Höre, Israel, ER ist unser Gott; ER ist EINER ... So liebe denn IHN, deinen Gott, mit all deinem Herzen, mit all deiner Seele, mit all deiner Macht."
   In den traditionellen Gemeinschaften kümmert sich die Chewra kadisha, die "Heilige Gemeinschaft", um die sterblichen Überreste. Mitglieder dieser frommen Gruppe reinigen den Leichnam nach einer genau festgelegten Ordnung und hüllen ihn in weiße Gewänder. Die orthodoxen Juden werden nach Eintritt des Todes so schnell wie möglich in einem schlichten weißen Totenhemd beerdigt, das anzeigen soll, dass vor Gott alle Menschen gleich sind. Man gibt dem Mann auch seinen Gebetsmantel mit ins Grab, der über das Totenhemd gelegt wird. Von einer Einbalsamierung wird abgeraten, außer wenn sie gesetzlich verlangt wird. Die Särge sind schlicht und aus Holz gemacht. Viele der weniger traditionellen orthodoxen Juden lassen sich einäschern.
   Die Trauerfeiern werden für gewöhnlich in jüdischen Beerdigungskapellen abgehalten, können jedoch auch in der Synagoge stattfinden. Dabei liest der Rabbi aus der Heiligen Schrift, etwa aus den Psalmen, und hält eine Lobrede auf den Verstorbenen. Der Sarg ist bei der Trauerfeier zwar dabei, bleibt jedoch verschlossen.
   Es gehört zur Tradition, dass die Sargträger, wenn der Sarg zu Grabe getragen wird, siebenmal stehenbleiben. Die Trauernden haben dabei Gelegenheit, über den Sinn des Lebens nachzudenken. Am Grab liest der Rabbi entsprechende Psalmen und spricht Gebete, und die anwesenden Trauergäste sprechen das Kaddisch-Gebet. Jeder der Anwesenden wirft eine Schaufel voll Erde auf das Grab.
In strenggläubigen Gemeinschaften gibt es zahlreiche Trauervorschriften, vor allem für die Trauerwoche, die Schiwa, die ersten sieben Tage nach der Beisetzung. Nahe Verwandte sollen in dieser Zeit weder ihren Geschäften noch ihren alltäglichen Aufgaben nachgehen. Andere Familienangehörige und Freunde bereiten für sie die Mahlzeiten zu und trösten sie, während sie trauern.
   Während der Schiwa werden alle Spiegel im Haus verhüllt, damit die Trauernden nicht über sich selbst, sondern über den Sinn des Lebens und des Todes nachdenken. Nach der Rückkehr vom Friedhof wird eine Kerze angezündet, das "Seelenlicht", das sieben Tage lang brennt. Die Trauernden sitzen während der Schiwa auf niedrigen Stühlen oder Schemeln und tragen statt Lederschuhen Pantoffeln oder Sandalen. Als Zeichen der Trauer ist es üblich, der Kleidung einen Riss beizubringen, der den Riss im Herzen versinnbildlichen soll, oder auch symbolisch einen Stofffetzen bei sich zu tragen.
   Das Kaddisch ist ein Gebet, in dem Gott gepriesen, das Leben bekräftigt und der Glaube gefestigt wird. Während der Schiwa ist es täglich zu sprechen. In manchen Gemeinschaften wird es auch dreißig Tage und in anderen elf Monate, abzüglich einem Tag, gesprochen.
   Am "Jahrzeittag", ein Jahr nach dem Tod, suchen Verwandte und Freunde die Grabstätte auf, um den Grabstein zu setzen. Oben auf dem Stein stehen oft zwei hebräische Schriftzeichen, die bedeuten "hier ruht", und unten am Schluss stehen oft fünf weitere Schriftzeichen, die besagen: "Es sei seine/ihre Seele gebunden an den Bund des Lebens". Sodann wird jedes Jahr am Jahrestag des Todes, dem Jahrzeittag, im Gedenken und zu Ehren des Toten eine Kerze angezündet.


(Aus: "Die letzte Reise. Eine Kulturgeschichte des Todes" von Constance Jones. Piper Verlag 1999. 453 Seiten. ISBN 3-492-04131-0)