Carl Zuckmayer: "Geheimreport"

"Wo wir nichts wissen", empfahl Zuckmayer daher, "dürfen wir bona fides und Anständigkeit eher als das Gegenteil annehmen."


Zuckmayers "Geheimreport" ist sicherlich eines der spannendsten Dokumente des deutschen Exils in den USA. Oben erwähnte Maxime machte sich Zuckmayer auch beim Schreiben dieses Dokuments zu eigen, was, wie die Geschichte zeigt, in manchen Fällen zu Fehleinschätzungen führte.

Der 1939 in die USA emigrierte Dramatiker Carl Zuckmayer arbeitete einerseits daran, eine Spaltung der Emigration zu verhindern, beschäftigte sich intensiv mit der Moskauer Resolution und plädierte für eine gemeinsame Erklärung der deutschen Emigranten in den USA. Gleichzeitig arbeitete er für den US-amerikanischen Geheimdienst "Office of Strategic Services" (OSS). In dessen Auftrag erstellte Zuckmayer Charakterporträts von Künstlern (Schriftsteller, Publizisten, Schauspieler, usw.), um die künftige Besatzungsmacht in erster Linie über jene Künstler zu informieren, die im "Dritten Reich" zum Teil herausragende Positionen bekleideten.

Hans Albers, Gustaf Gründgens, Heinz Rühmann, Theo Lingen, Brigitte Horney und Paula Wessely gehören ebenso zu den Beurteilten wie Gottfried Benn, Wilhelm Furtwängler und Peter Suhrkamp. Es erfolgte generalisierend eine Einteilung der beschriebenen Personen in ein Schema von vier Gruppen, die aus aktiven Nazis und böswilligen Mitläufern, aus gutgläubigen Mitläufern, Indifferenten und Hilflosen sowie jenen, die bewusste Träger des inneren Widerstands waren, zusammensetzte. Im vorliegenden "Geheimreport" wählte Zuckmayer dann eine Klassifizierung in Positive, Negative, Sonderfälle und Indifferente.

Neben den Charakterporträts gibt dieser Band auch Auskunft über Entstehungszusammenhänge, biografische Einzelheiten, das OSS sowie die Bedeutung und Bewertung des von Zuckmayer erstellten Reports.
Insgesamt liest sich der vorliegende "Geheimreport" wie ein "Who is Who" der intellektuellen und künstlerischen Gemeinschaft in Nazi-Deutschland. Die Beurteilungen wirken großteils zutreffend, da sie sich auf Persönlichkeiten beziehen, die dem Verfasser überwiegend genau bekannt waren, und von dem Bemühen gekennzeichnet sind, menschlich und fair zu bleiben.

Der Kommentarapparat und die vielen Verweise fordern dem Leser allerdings einiges an Geduld ab und lassen das Lesen zur Herausforderung werden. Trotz dieser Schwäche ein grandioses Leseerlebnis und außergewöhnliches Dokument der Exilliteratur, das Marcel Reich-Ranicki zurecht als "die beste Prosa Zuckmayers" bezeichnet hat.

(Margarete; 05/2004)


Carl Zuckmayer: "Geheimreport"
Herausgegeben von Gunther Nickel und Johanna Schrön.
dtv, 2004. 526 Seiten.
ISBN 3-423-13189-6.
ca. EUR 12,-. Buch bestellen
2 Audio-CDs, Laufzeit ca. 155 Minuten. Mit Begleitheft.
Hoffmann und Campe, 2003. CDs bestellen

Carl Zuckmayer, geboren am 27. Dezember 1896 in Nackenheim/Rhein, Fabrikantensohn, arbeitete als freier Schriftsteller und Dramaturg, bevor er Deutschland verließ. Als Kriegsfreiwilliger war er vier Jahre lang Frontsoldat. 1938 Emigration über die Schweiz in die USA. Im Auftrag der US-Regierung führte er 1946/47 Untersuchungen zum Kulturleben in Deutschland und Österreich durch. 1958 kehrte er in die Schweiz zurück, wo er am 18. Jänner 1977 starb. Zu seinen berühmtesten Werken gehören "Der Schinderhannes", "Der Hauptmann von Köpenick" und "Des Teufels General" sowie seine Autobiografie "Als wär's ein Stück von mir"; für den weltberühmten Film "Der blaue Engel" schrieb Zuckmayer das Drehbuch. 

"Der Hauptmann von Köpenick"
"Sone Uniform, die macht det meiste janz von alleene." - Zuckmayers satirisches Schelmenstück über den wilhelminisch-preußischen Militarismus.
"Ein als Hauptmann verkleideter Mensch führte gestern eine von Tegel kommende Abteilung Soldaten nach dem Köpenicker Rathaus, ließ den Bürgermeister verhaften, beraubte die Gemeindekasse und fuhr in einer Droschke davon." So zu lesen am 17. Oktober 1906 in den Berliner Zeitungen. Dieser Mensch hieß Wilhelm Voigt. In jungen Jahren war der Schustergeselle aus Not mit dem Gesetz in Konflikt geraten. 15 Jahre Zuchthaus waren die Strafe dafür, dass er die Reichspost um 300 Mark geschädigt hatte: Er geriet in den Teufelskreis der Bürokratie. Ohne ordentliche Anmeldung fand er nirgends Arbeit, ohne Arbeitsnachweis erhielt er keine Anmeldung. Voigt wird wieder straffällig; mit 56 Jahren hat er mehr als 30 Jahre seines Lebens im Zuchthaus verbracht. In diesem Augenblick seines Lebens stößt er auf jene Uniform im Trödlerladen in der Berliner Grenadierstraße, die von nun an sein weiteres Schicksal bestimmen wird.
Dieses "Deutsche Märchen" erschien zum erstenmal 1931; es ist heute eines der bekanntesten Stücke Zuckmayers. Die Verfilmung, mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle, ist vielen Zuschauern unvergesslich.
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"Des Teufels General"
"Wenn man ein Drama schreibt, das Lebensdeutung versucht, so sind seine Gestalten keine Prinzipienträger, sondern Menschen, die leiden und handeln, ihren Weg suchen oder ihn verfehlen. Man rechnet sich die Handlungsweise seiner Personen nicht aus, wie man einen mathematischen Beweis führt, sondern man stellt sie sich vor, wie sie aus ihrem Wesen und Gesetz heraus sein müssen - bis sie von selber handeln und ihre eignen Entscheidungen fällen, die ihnen der Autor nicht mehr vorschreiben kann. Es ist also nicht so, dass man in der einen Figur das verkörpert, was man für unbedingt gut, in der anderen das, was man für unbedingt schlecht hält. Eine solche Schreibart wird zwar immer wieder von Dogmatikern verlangt oder versucht, aber sie erschafft kein Drama. Man möge sich nun zu Oderbruchs erdichteter Handlungsweise stellen, wie man will: es ergab sich hier aus der inneren Situation, dass der Mensch, der das Gute erstrebt, in seiner Not, in seiner ausweglosen Bedrängnis, das Ungute, die verdammenswerte Tat, nämlich den Mord, noch dazu den Freundesmord, auf sich nehmen muss. Denn in der Hölle gibt es keine Engel, und im Umkreis dieses Stückes herrscht, wie schon sein Titel sagt, die Hölle auf Erden."
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"Als wär's ein Stück von mir"
Autobiografie.
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