Oscar Wilde: "Der glückliche Prinz und andere Märchen"


Morbide Kostbarkeiten

Oscar Wilde, jener literarische Riese, dessen dekadente Satire die meisten seiner dramatischen als auch Prosawerke durchzieht, ging nach der Geburt seiner Söhne heran, sich auch im Genre des Märchens zu versuchen. Der Natur Wildes gemäß konnte es sich hierbei natürlich nur um die Gattung des Kunstmärchens handeln: Geschichten verfasst in schlichter Sprache, vordergründig leicht zu verstehen jedoch in keinter Weise banal in ihrer Aussage - sondern im Gegenteil zutiefst hintergründig, und zum mehrmaligen Lesen wie auch mehrschichtigen Verstehen anregend.

Die Grundstimmung der in diesem schmalen Band gesammelten Märchen ist - wie könnte es bei diesem Meister der dekadenten Melancholie anders sein - durchwegs pessimistisch. Zwar ist ihnen allen - wie eben auch beim schlichten Volksmärchen - eine Tendenz zur Läuterung des Menschen immanent, doch stellt sich diese bei Wildes Märchen - künstlerisch zwar auf schönste Weise - aber letztlich als vergebene Liebesmüh dar. So verfehlen beispielsweise Opfer, die auch bis zur existenziellen Selbstaufgabe gehen, ihren eigentlichen - oftmals in der Absicht, jemanden anderen rettenden - Zweck, jedoch wird dieses Scheitern beim großen Iren - quasi als Entschädigung - aufs Kunstvollste zelebriert und erzeugt dergestalt wiederum eine eigene Schönheit. Opferbereitschaft, die Liebe - eines der Hauptmotive der Märchen - die Sehnsucht nach dem Glück und last but not least das Kunstwerk selbst - alles verweist in letzter Konsequenz auf die Hinfälligkeit und Endlichkeit allen menschlichen Tuns.
So verwundert es auch nicht mehr weiter, wenn ein derart Enttäuschter Zuflucht zu beißender Ironie und Satire nimmt. Diese größte Stärke Wildes setzt auch in seinen Märchen die Glanzlichter: Kunstprofessoren, die - welch' künstlerischer Affront - Schönheit mit Nützlichkeit in Verbindung bringen, Wissenschafter, die Plattitüden hinter unverständlichem Wissenschaftsjargon verbergen, selbstgefällige Politiker, die sich in Statuen verewigt wissen wollen, Studenten, die sich statt der Liebe zuzuwenden, in Logik (sic!?) und Metaphysik flüchten.

Mit diesen Märchen erweist sich Oscar Wilde ebenso in dieser literarischen Gattung als ein Könner, - als "Wolf im Schafspelz" sozusagen, der auch hier seine gewohnten Stärken wie geistvolle Ironie, Wortwitz und anspruchsvolle Überspanntheit perfekt ausspielen kann, wenn auch in scheinbare Simplizität von Märchen gekleidet.

(Sebastian Wittich; 05/2001)


Oscar Wilde: "Der glückliche Prinz und andere Märchen"
dtv, 2000.
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