Ramón Villeró: "Das Lächeln der Erde"


Klein und unscheinbar kommt es daher als einfache Taschenbuchausgabe, jenes zweite Buch des in Andorra geborenen Schriftstellers Ramón Villeró, eines Mannes, der viele Jahre seines Lebens in Afrika verbrachte, und entfaltet beim Lesen eine Kraft und Größe, die staunen lässt.

In der Tradition von 
Khalil Gibran und Eric-Emmanuel Schmitt erzählt Villeró die Geschichte des jungen Beduinen Abdel Mansur aus dem afrikanischen Land Mali. Als Abdel zehn Jahre alt geworden ist, nimmt ihn sein geliebter Vater Jusuf, der ihm von Kindesbeinen an von den Wundern der Welt erzählt hat, auch vom Glauben an Gott und an sich selbst und vom unbegrenzten Sternenhimmel, mit auf eine große Handelsreise von Timbuktu nach Marrakesch in Marokko.

Auf dieser Reise erinnert sich Abdel an vieles, was ihn sein Vater bisher über die Selbsterkenntnis gelehrt hat: "Wenn du dich selbst kennst, so bestimmen die Gesetze deines Lebens die ganze Welt, und diese Gesetze gelten unabhängig vom Lauf der Zeit."
Und Abdel begreift den Unterschied zwischen weise und gelehrt:
"In Timbuktu gab es einige weise und viele gelehrte Männer. Der Weise kennt sich selbst. Der gelehrte Mann hat durch seinen Fleiß mehr Wissen erworben als die meisten anderen Menschen, aber damit gleicht er nur einem dicken Buch oder einem Tonbandgerät."
Abdel geht bereits als kleines Kind bei dem Weisen Ibrahim in die Lehre, der in Abdel erkennt, was in ihm angelegt ist. Abdels Vater Jusuf stammt von den Tuareg ab, einem alten, zähen kleinen Wüstenvolk, und Abdel begleitet ihn zusammen mit seiner Mutter Soraya auf vielen Reisen und lernt von ihm viel über die Beobachtung der Sterne und die Bedeutung der Zeichen der Natur. Er ist für ihn ganz selbstverständlich der "Vater", eine Autorität, die keiner weiteren Legitimation bedarf. Dieser Vater wird noch lange in ihm leben, auch nach seinem frühen Tod.

Vielleicht spürt Jusuf, dass er nicht lange mehr leben wird, als er sich zusammen mit seinem Sohn einer Karawane anschließt, die sie von Mali nach Marrakesch in Marokko führen soll.
"Ich sollte mit ihm die Wüste durchqueren, damit ich niemals vergäße, woher ich stammte."

Jusuf stirbt, als Abdel 20 Jahre alt ist, und seine Heimat wird von einer schrecklichen und verheerenden Choleraepidemie heimgesucht. Hier erlebt Abdel zum ersten Mal ein anderes, nicht kolonialistisches Europa:
"In Europa gab es einzelne Menschen, Personen, Verbände, denen es darum ging, zu helfen, Wissen weiterzugeben, vorzubeugen, zu heilen, und das nicht nur durch Geldspenden und wirtschaftliche Mittel, sondern auch durch persönliche Hingabe und körperlichen Einsatz."
Er findet Freunde unter den weißen Helfern und wird sie später, als er sich selbst auf den Weg nach Europa macht, wieder treffen.

Abdel ist ein kluger Junge, und so schafft er es, von einer französischen Organisation, die mit seiner Schule im Timbuktu zusammenarbeitet, ein Stipendium zu bekommen, um sein Abitur in Marseille zu machen. Der Traum von Europa ist für ihn Magie und tiefes Erschrecken zugleich. Doch er beißt sich durch, verliert aufgrund der äußeren Kälte, die er erlebt und die Fremdenfeindlichkeit nicht seine innere Kraft und seinen Glauben an die Menschlichkeit. Er arbeitet in einem libanesischen Restaurant namens "Orient Express" und begegnet dort zum ersten, noch schüchternen und sprachlosen Mal Sheila, seiner späteren Frau. In den Ferien besucht er seinen Freund Nicolas in Paris, und in den Sommern, die folgen, bereist er Europa, wie es ihm sein Lehrer Ibrahim dereinst prophezeit hatte.

Und er versucht in seinem tristen Alltag in der Küche des "Orient Express" über den Hass hinwegzusehen, den er sich bei den Franzosen, aber auch bei den maghrebinischen Immigranten immer weiter ausbreiten sieht: "Man musste doch einen Weg der Toleranz und des Zusammenlebens finden können, ohne sich etwas vorzumachen."

Nach vier Jahren harter Arbeit in Marseille und Sommereisen durch Europa kehrt Abdel Mansur zum ersten Mal nach Timbuktu zurück und erzählt seinem alten Lehrer Ibrahim von Europa. Als er sich wie früher nachts unter dem Sternenhimmel seinen Gedanken hingibt, stellt er sich die Frage, die ihn fortan umtreibt:
"Ich fragte mich, warum die Religionen die Menschen spalteten, wenn doch alle Religionen in die gleiche Richtung wiesen, in die Richtung eines einzigen Gottes, oder vieler Götter, ob monotheistisch oder politheistisch; denn stets ging es darum: eine Art Gleichheit, eine Art Befreiung, eine Art kosmisches Bewusstsein zu erlangen."

Im nächsten Sommer nach seiner Rückkehr nach Marseille besucht Abdel Mansur seinen Freund Ismael, den Winzer, in Spanien. Er soll für dessen Saisonarbeiter während der Weinlese kochen, aber Abdel muss zuerst noch einmal zurück. Später, so Abdel zu Ismael, würde er vielleicht für immer wiederkommen. Als er zwei Jahre später im "Orient Express" Sheila, das Mädchen von einst, wiedersieht, das in einer Tagesstätte mit Migrantenkindern arbeitet, steht der Entschluss bald fest: Sie gehen zu Ismael nach Spanien, und auch Sheila findet dort bald eine Arbeit als Erzieherin.
Abdel beginnt, neben seiner Arbeit auf der Finca Ismaels, seine Geschichte und seine Gedanken aufzuschreiben ...

Ein literarisches Kleinod über Selbsterkenntnis, den Dialog der Kulturen und den Glauben daran, dass es immer Menschen geben wird, die sich darum mühen.

(Winfried Stanzick; 01/2007)


Ramón Villeró: "Das Lächeln der Erde"
Deutsch von Hanna Grzimek.
Rowohlt, 2007. 96 Seiten.
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Ramón Villeró wurde 1955 in Andorra La Vella geboren. Nach dem Jurastudium in Barcelona arbeitete er zehn Jahre lang als Anwalt in Andorra. Nebenbei begann er zu fotografieren, veröffentlichte einen Roman und zahlreiche Artikel. Seit 1990 ist er als freier Journalist tätig und wurde als solcher mehrfach ausgezeichnet. "Das Lächeln der Erde" ist sein zweiter Roman.