Denise Chong: "Das Mädchen hinter dem Foto"

Die Geschichte der Kim Phuc


Kim Phuc wurde dadurch bekannt, dass sie den Opfern des Vietnamkrieges ein sehr eindringliches menschliches Gesicht gab. Als Neunjährige lief sie 1972 nackt, weinend und am Rücken durch Napalm schwer verletzt auf die Kameralinse des AP-Fotografen Nick Ut zu, der sich, nachdem er dieses Bild geknipst hatte, sofort um die Versorgung des Mädchens kümmerte. Dieser Umstand und einige andere Überlegungen werden im Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe des Buchs vom Fotografen Perry Kretz vorgestellt.

In der Folge wird zunächst beschrieben, wie es zum "freundlichen Feuer" der südvietnamesischen Luftwaffe auf die Familien Kim kam, wie sich Phucs Leben vom Moment ihrer Geburt bis zu ihrem neunten Lebensjahr im Angesicht der Indochina-Kriege entwickelte und welche Wendungen es nach dem Tag, an dem sie das Napalm traf, nahm. Dabei bekommt der Leser eine Innensicht des Krieges aus der Perspektive der südvietnamesischen Landbevölkerung.

Im Verlauf der ersten Jahre 
nach dem Unglück war das Bemerkenswerteste in Phucs Leben, dass sie, anders als die meisten zivilen Brandopfer des Krieges, sehr zeitnah eine relativ angemessene Behandlung erfuhr und dadurch überlebte. Doch lange Zeit war sie für die Welt einfach nur "Das Mädchen auf dem Foto", das nackt auf die Kamera zurannte, während das Napalm seinen Rücken und einen Teil seiner Arme zerfraß. Für die Öffentlichkeit sollte dieses Mädchen erst Jahre später einen Namen bekommen.
Im Weiteren ist das Buch eine Beschreibung dessen, wie sich das Ende des Krieges und die "Befreiung" durch die Nordvietnamesen, sowie die darauf folgenden Reformen Südvietnams auf die ländliche Bevölkerung und auf deren religiöses und wirtschaftliches Leben auswirkten. In diesem Zusammenhang wird man auch nachhaltig mit Coadaismus konfrontiert, einer sehr vietnamesischen Ausprägung der christlichen Religion mit unerwarteten Heiligen und Propheten, wie zum Beispiel Victor Hugo. Außerdem erfährt der Leser, wie die junge Frau aufgrund ihrer Verletzungen von der kommunistischen Führung des Landes vereinnahmt wird, als ein Symbol für die Schrecken des imperialistisch motivierten Krieges. Diese Vereinnahmung soll viele Jahre lang ihr Leben und das ihrer Familie bestimmen, bis es Kim schließlich bei einem Flug von Kuba zurück nach Vietnam bei einer Zwischenlandung in Kanada gelingt, mit ihrem Mann zu flüchten und dann auch aus der kommunistisch-sozialistischen Welt zu verschwinden.

Gegen Ende wird das Buch ein wenig langatmig, aber die Beschreibungen der Entwicklungen in Vietnam und jener Jahre, die Phuc - die sich heute Kim nennt - auf Kuba verbrachte, zeigen deutlich die Strömungen und Veränderungen, die die Welt in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts erschütterten und wie diese sich auf die so genannten "kleinen Menschen" auswirken konnten.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 08/2006)


Denise Chong: "Das Mädchen hinter dem Foto. Die Geschichte der Kim Phuc"
Deutsch von Sabine Schulte.
Bastei Lübbe, 2003. 450 Seiten.
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