Ángel Vázquez: "Das Hundeleben der Juanita Narboni"


Gelungene Übersetzung eines großartigen Frauenporträts

In einem ausdrucksstarken Monolog voll von Alltagserlebnissen beschreibt Juanita Narboni ihre selten glücklichen Lebensjahre von 1914 bis 1960 in Tanger. Die Geschichte ihres Lebens und ihrer Stadt erzählt sie nicht chronologisch, sondern nach ihrer subjektiven Wichtigkeit und spontanen Ordnung. Zahlreiche Anspielungen auf populäre Musik, politische Ereignisse, Filme, prominente Zeitgenossen und andere Hinweise, die in Anmerkungen der Übersetzerin genauestens erklärt werden, erlauben dem Leser eine zeitliche Zuordnung, eine Segmentierung des wort- und bilderreichen Gedanken- und Redeflusses.

Juanita Narboni, ein Pseudonym für die Mutter des Autors Ángel Vázquez (1929-1980), war keine Spanierin im engeren Sinne: sie war Tangerina mit englischem Pass (da in Gibraltar geboren), italienischem Familiennamen und andalusischer Familie umgeben von sephardischen Juden und arabischen Muslimen, Flüchtlingen und Verwaltern der internationalen Stadt am Südufer der Straße von Gibraltar. In ihrem Leben spiegelt sich das Schicksal eines Gebiets, das ab 1923 in mehrere Protektoratszonen aufgeteilt und erst 1956 an Marokko übergeben wurde. Damals, vor allem in den 1950er und 1960er Jahren war Tanger ein Tummelplatz von Schmugglern, Agenten und Autoren der neu entstandenen Popliteratur wie Paul Bowles und Jack Kerouac.

Der unaufhaltsame Wortschwall Juanitas verbindet das Mosaik an Anschauungen, Erlebnissen und Erfahrungen zu einem Ganzen. Somit wird die Sprache der Erzählerin zur eigentlichen Protagonistin des Buchs. Juanitas Sprache ist kein überregionales und neutrales Spanisch, es ist durchzogen von den Sprachen der Nachbarschaft, v.a. vom heute fast ausgestorben Yaquetía oder Hakitia, dem Spanisch der sephardischen Juden Marokkos.

Juanitas Monolog gehört zu jenen Texten, die so eng mit einer Stadt oder einer Region verbunden sind, dass sie sich jedem Übersetzungsversuch energisch widersetzen. Nur eine geringe Teilmenge der ursprünglichen Aussage geben sie zur Übertragung in andere Sprachen frei. Wie kann man in der Zielsprache - für Leser an anderen Orten und viele Jahre nach der Autorenschaft - die zahllosen regional gebundenen Ausdrücke aus Tanger mit allen oft nur für Einheimische und Zeitgenossen verständlichen Nuancierungen wiedergeben?

Der Versuch Gundi Feyrers ist jedenfalls bemerkenswert - es gelingt ihr, die Fülle verschiedener Sprachen, Kolorite und Klänge einer weit entfernten Stadt und einer verblassten Epoche andeutungsweise wiederzugeben, ohne auf deutsche Regionalismen und Pseudodialekte zurückzugreifen. Sie wählte dafür aus einer Vielzahl sprachmusikalischer Stimmen die für jeden Lebensabschnitt Juanitas geeignetsten Töne. Wie viel der sprachlichen Vielfalt Tangers dabei verloren gegangen ist (ohne Verlust geht es wohl nicht), könnte nur ein alter Tangerino beurteilen. Für deutschsprachige Leser ist dieses stilistische Wechselspiel in jedem Fall ein literarischer Gewinn.

Deshalb erlaube ich mir abschließend eine Anregung und einen Wunsch an den Verlag: Wann erscheint "Das Hundeleben der Juanita Narboni" in Gundi Feyrers Übersetzung als Hörbuch?

(Wolfgang Moser; 10/2005)


Ángel Vázquez: "Das Hundeleben der Juanita Narboni"
Mit einem Vorwort von Juan Goytisolo.
Aus dem Spanischen von Gundi Feyrer.
Droschl, 2005. 376 Seiten.
ISBN 3-85420-690-9.
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Ángel Vázquez, 1929 in Tanger geboren, ging 1965 nach Spanien, wo er 1980 in Madrid starb. Er veröffentlichte zwischen 1955 und 1976 mehrere Erzählungen und drei Romane, für deren ersten er 1962 den angesehenen Planeta-Preis erhielt.
Vázquez wuchs in traumatisierenden Familienverhältnissen auf (seine Kindheit brachte er in einem Käfig zu, von der Decke des Hutgeschäfts seiner Mutter hängend und dem Klatsch der mehrheitlich sephardischen weiblichen Kundschaft zuhörend), besuchte nacheinander das italienische, französische und spanische Kolleg, "verschlang" die Bibliotheken der Stadt, ging Gelegenheitsarbeiten nach, war Sekretär eines ungarischen Holocaust-Überlebenden, Buchhändler in der berühmten Librairie des Colonnes und Zeitungsredakteur.
Vázquez ("der einzige große Schriftsteller, den diese Stadt hervorgebracht hat") in einem Brief: "Ich bin völlig korrupt. Egoist, ohne Glauben an Gott und ohne jedes Vertrauen in mich selbst. Schwul, Alkoholiker, jedweder Droge zugeneigt, Kleptomane ... Jean Genet und Maurice Sachs und ein bisschen Violette Leduc, in Taschenbuchausgabe."