Gabriel Vetter: "Tourette de Suisse"

"Poesie auf Zeit - Die DVD zum German International Poetry Slam"

(Hörbuch- und DVD-Rezension)


Seit einigen Jahren hat sich in Europa eine neue Form der Literatur etabliert. Der sogenannte poetry slam verlangt vom Autor neben textlicher Dynamik eine Versuchung in Form einer "performance". Es kann geschrieen oder gejault werden oder was auch immer dem Künstler vorschwebt. Grundsätzlich wird es vom Publikum, das die miteinander im Wettstreit liegenden Autoren zu beurteilen hat, sehr gern gesehen, wenn die literarischen Beiträge nicht abgelesen, sondern frei rezitiert werden. Die künstlerisch ambitionierten "Performer" haben fünf bis maximal sieben Minuten Zeit, um ihre Texte vorzutragen. Wird diese Zeit überschritten, erfolgt entweder ein Gong, oder aber der Autor wird gemächlich mit einem Bierchen von der Bühne geholt.

Literatur aus dem stillen Kämmerchen zu holen ist Aufgabe des Slam. Viele Menschen beschäftigten sich erst mit dem Schreiben, weil der poetry slam geboren ward.

1997 fanden erstmals deutschsprachige Meisterschaften statt. 1998 siegte Michael Lentz, der übrigens im Jahre 2001 den Ingeborg Bachmann Preis zugesprochen bekam. Allein daran mag ersichtlich sein, dass der poetry slam keineswegs ein Schattendasein führt, sondern für viele Autoren eine Möglichkeit darstellt, Texte auf jene Art vortragen zu können, die sie bevorzugen. Somit sind gute "Slammer" niemals langweilige Vorleser, sondern als Energiebündel zu bezeichnen, welche sich vor dem Publikum zu Höchstspannung entzünden.

Lasse Samström, der 2002 den nunmehr als German International Poetry Slam bezeichneten Wettbewerb für sich entscheiden konnte, beschäftigte sich im Jahre 2003 mit der Frage, ob denn heutzutage Ingeborg Bachmann vielleicht den Bachmann Preis gewinnen könnte?

Die DVD Poesie auf Zeit zeigt insgesamt zwölf Auftritte von Künstlern, aufgenommen bei eben jenem Wettbewerb 2003, der in
Frankfurt und Darmstadt stattfand. Die meisten Texte sind humoresk angelegt und wohl als originell zu bezeichnen. Ein wenig heraus sticht Fatze Schulmeister, der ganz seinem Namen entsprechend über die Streber lästert, welche sich mit einer auswendig gelernten "Performance" in den Blickpunkt stellen wollen. Also sozusagen ein Meta-Slam-Text, bei dem sich der Autor mit voller Kraft in Schieflage begibt, um jene Themen anzuschneiden, die sich in den wenigen Minuten, welche zur Verfügung stehen, einbringen lassen. Als Sieger des Wettstreits ging Sebastian Krämer hervor, der bereits im Jahre 2001 den Sieg davongetragen hatte. Es sind nicht nur zwei "Clips" von und mit ihm zu sehen, sondern er philosophiert zudem auch noch über die Qualität und Dynamik des Slams.

Die Dokumentation belegt eindrucksvoll, dass im Finale die mit Abstand besten "Slammer" gestanden sein müssen. Übrigens hat es keine Frau bis in die letzten Runden des Wettbewerbs geschafft. Immerhin konnte bei insgesamt neun großen "Slams" einmal eine Frau gewinnen, die gemeinhin als Slam queen bezeichnet wird. Tracy Splinter konnte das Publikum 1999 von ihren Qualitäten überzeugen.

Sebastian Krämer weist konkret darauf hin, dass einige der Autoren, die als slam poeten auftreten, nicht kommen hätten sollen. Das hängt mit dem Modus zusammen, der es erlaubt, scheinbar "gute" "Slammer" zum größten Slam-Wettbewerb im deutschsprachigen Raum zu entsenden. Fälschlicherweise glaubte der zweimalige Gewinner vergangener Jahre auch, es habe sich kein Österreicher zum Wettbewerb 2003 verirrt. Krämer wurde mit einem kleinen "Clip" enttarnt, wo ein Wiener zu sehen ist, der wohl schon in einer der ersten Runden die Segel streichen hatte müssen.

Der Gewinner des Jahres 2004, der Schweizer Gabriel Vetter, ist wahrlich als "Wunderknabe" in der "Slam"-Szene zu bezeichnen. Der junge Mann hat bei 32 Auftritten gleich 28 Mal den Sieg eingeheimst. Somit mag er als einer der besten "Slammer", wenn nicht als der herausragendste der deutschsprachigen "Slam"-Szene, gelten. Nunmehr kann sich der Zuhörer davon überzeugen, welche Brachialakte der Schweizer vollbringen mag. Auf der CD sind sechzehn Beispiele erstaunlicher "Slam"-Kunst vereint. Zudem gibt es einen Bonus-"Track", der als musikalische Reminiszenz bezeichnet werden kann.

Gabriel Vetter ist eher durch Zufall in die "Slam"-Szene reingeschlittert. Er hat sich einmal einen Wettbewerb angesehen und dann gedacht, dass er es selbst versuchen könnte. Und nunmehr begeistert er sein Publikum sowohl in der Schweiz als auch in Deutschland.

Es gibt nur einen einzigen Text, der einen ernsthaften Hintergrund aufweist. In Heiteri Fahne beschäftigt er sich mit ausländerfeindlichen Äußerungen einer Schweizer SVP-Nationalrätin. Vetter schafft es ansonsten mit Bravour, harmlose und scheinbar inhaltslose Texte mit seiner lautmalerischen "Performance" aufzuwerten. Keineswegs sollte aber gesagt sein, es schiene nur die Lust am Spiel mit der Sprache durchzuleuchten, obzwar dies freilich sein Hauptziel darstellen könnte. So kann es dem Zuhörer bei Ida und Kaspar kalt den Rücken runterlaufen, wo sich Ida über ihren angetrauten Mann beschwert, der sie noch nie in ihrem gemeinsamen Leben geschlagen habe und immer nur die Harmonie in der Beziehung zu bewahren trachte. Sie sehne sich danach, mal so richtig verprügelt zu werden; aber dazu ist Kaspar nicht bereit.

Dieser Text belegt die Bandbreite des erst 22-jährigen Gabriel Vetter. Ganz anders ist es etwa bei Wazlav der Hamster, der eigentlich ein Bernhardiner sein will. Die Geschichte dieses ungarischen Hamsters ist auf eine sprachgewaltige Weise komisch, sodass es dazu kaum eine Steigerung geben kann. Wobei Vetter noch eins draufsetzt, indem er eine Schlusspointe erster Güte mit Singsang verstärkt.

Einige Texte sind im Schweizer Dialekt vorgetragen. Das Begleitheft ermöglicht es, diese Texte nachzulesen, insofern sie nicht voll und ganz verstanden werden. Herzstück ist hierbei Grossmütter sind toll.

Sowohl DVD als auch CD sind herausragend gelungene Beispiele für "Slam"-Kunst. Literatur kann sehr wohl ein Publikum in Begeisterung versetzen, das möglicherweise ansonsten nur schwer den Gang ins Theater wagen mag. Davon zeugen einige kleine Wortspenden, die auf der DVD enthalten sind. Die nächsten Projekte des Verlages mögen ebenso vielversprechend sein. So soll etwa ein Hörbuch des Kult-"Slampoeten" Wehwalt Koslovsky erscheinen, der als Kommentator die soeben besprochene DVD bereichert.

(Al Truis-Mus; 11/2005)


Gabriel Vetter: "Tourette de Suisse"
sprechstation verlag, 2005.
16 Live-Aufnahmen, 74 Minuten Gesamtspielzeit / Digipack mit 16-seitigem Begleitheft.
ISBN 3-939055-00-X.
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"Poesie auf Zeit"
Laufzeit ca. 120 Minuten. (Ab 14 J.) 
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Lien zu Gabriel Vetters Netzseite: http://chlappland.tripod.com/.