Sami Tchak: "Scheiß Leben"


Immigrantenschicksal, einmal anders

"Doch was Papa betrifft, Allmächtiger, das ist ein anderes Paar Pantoffeln. Er hängt an seiner Rückkehr wie eine Wanze am Fell eines streunenden Köters. Unmöglich, sie ihm ausreden zu wollen, diese Rückkehr ins Land der Geburt [...]
So, und jetzt lassen Sie mich bitte noch präzisieren, dass diese Rückkehr, an die sich Papa wie eine Fledermaus an einen Ast klammert, den Hintern in die Luft, die Schnauze nach unten, dass diese Rückkehr meines Fledermauspapas überhaupt nicht zu vergleichen ist mit der, die er im Gepäck hatte, als er nach Frankreich kam, mit seinen Träumen bewaffnet wie ein amerikanischer Alliierter, den man losgeschickt hat, damit er dem bösen Wolf die Fresse poliert. Früher war sie von der Sorte 'In-die-Heimat-zurückkehren-und-meine-Träume-verwirklichen'. Na ja, die Zeiten sind aus und vorbei. In puncto Pläne möchte mein Papa inzwischen nur noch in sein Dorf zurückkehren, um zu sterben, nicht, um dort noch ein bisschen zu leben, nein, nur um zu sterben wie die Wale, die sich, wenn es ihnen auf dem Grund des Meeres mulmig wird, an den Strand spülen lassen, wo sie dann erlöst werden von ihren Qualen wie von ihrem Leben."


Die Eltern des anonymen Ich-Erzählers stammen aus Mali, er selbst wurde in Frankreich geboren und ist Franzose. Jedenfalls steht das in seinem Pass. Aber er ist auch schwarz und demnach doch keiner. Jedenfalls nicht so richtig.

Wer aber glaubt, jetzt kommt das übliche Lamento, der irrt. Ganz im Gegenteil, der Erzähler spottet über Immigranten, die ständig ihr Schicksal bejammern, und Weiße, die sie dabei unterstützen. Politisch höchst unkorrekt teilt er nach allen Seiten aus.

Und er hat Frauen im Kopf, nackte vor allem, Mösen und Brüste, er sieht sie überall und lernt schnell, dass politische Korrektheit auch da nichts hilft. So vögelt er mit seiner Schwester, erzählt von der Vergewaltigung der Cousine seines besten Freundes ohne die geringste Scham, die heute zu einer solchen Schilderung gehört, von schwarzen Frauen, die sich prostituieren, und schwelgt in orgiastischen Bildern.

Manchmal wird das in der Mitte des Buches ein wenig eintönig, aber immer rettet ihn seine bildhafte Sprache, oft fühlte sich der Rezensent während der Lektüre in ein Bild von Breughel versetzt. Obszön, komisch und völlig abseits der gewohnten Pfade, die sonst derartige Erzählungen aus dem Immigrantenmilieu kennzeichnen. Unbedingt lesenswert!

(Hans Peter Roentgen; 07/2004)


Sami Tchak: "Scheiß Leben"
(Originaltitel: "Place des Fêtes")
Aus dem Französischen von Uta Goridis und Nicole Gabriel.
Zebu Verlag, 2004. 304 Seiten.
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Sami Tchak, 1960 in Togo geboren, ist Essayist und Romancier.