Peter Pannke; Horst A. Friedrichs: "Troubadoure Allahs. Sufi-Musik im Industal"


Entlang dem Indus, dem mächtigen Strom im Osten Pakistans, begab sich der Indologe und Spezialist für orientalische Musik Peter Pannke auf musikalische Spurensuche. Vom unwirtlichen Baluchistan bis an die Flussmündung in die Großstadt Karachi führte ihn der Weg, durch unterschiedlichste Landschaften, Völker, Traditionen und nicht zuletzt musikalische Sprachen, damit er schließlich als reiche Beute diesen Bildband nebst CD von seiner Reise zurückzubringen konnte. Zwar führt das Buch das Wort "Sufismus" im Titel, doch sagt der Autor selbst, dass das in gewisser Weise eine Anpassung an westlichen Sprachgebrauch darstellt. In Pakistan selbst und auch anderen Teilen der islamischen Welt gilt "Sufi" als Ehrentitel - für einen, der sich um seine geistige Weiterentwicklung bemüht und herkömmliche Maßstäbe seiner Gesellschaft in Frage stellt. Es haftet dem Wort also auch etwas Untergründiges an, und gerade dieses Element war bei der Entwicklung der heutigen Musikstile des Industals äußerst wichtig, indem es die geistige Basis für eine selten dogmatische und oft sinnliche Volksfrömmigkeit legte. So hatte der Sufismus bereits großen Anteil an der Bekehrung der westindischen eroberten Bevölkerung zum Islam, da er weniger zu bekehren versuchte, als vielmehr vorlebte. Im Industal starb auch Mansur al-Hallaj, 922 wegen Ketzertums hingerichtet, bald darauf zum Heiligen erklärt, ein erster Märtyrer dieser Bewegung. Und schließlich waren es Sufi-Orden, die schon früh Musik und Tanz als vorzügliche Hilfsmittel bei ihrem erstrebten Einswerden mit Gott entdeckten und gezielt einsetzten

Rein musikalisch gesehen besteht die Musikszene des Industals freilich eher aus vielen kleineren Nebenflüssen, die auf diesem geistigen Untergrund gediehen, einander über die Jahrhunderte beeinflussten, sich manchmal allerdings auch bewusst über lange Zeit ihre Eigenheit bewahrten. So wie die Staatssprache Pakistans, Urdu, eine langsam gewachsene Mischung aus Hindi, Arabisch, Persisch und Türkisch darstellt, verschmolzen ekstatische qawwali-Kompositionen mit Elementen des Volkslieds, persisch beeinflusster Liebeslyrik, schamanischen Gesängen - im 13. Jahrhundert beherrschte der Mongolenfürst Dschingis Khan das Gebiet - und nicht zuletzt den alten Traditionen des Hinduismus. Sogenannte Sufi-Musik hat zwar schon längst den Weg in westliche Musikgeschäfte angetreten, Musiker wie Nusrat Fateh Ali Khan und die Sabri-Brüder gehören längst zum Repertoire an Weltmusik interessierter Europäer. Bei der großen gebotenen Vielfalt stellt Pannke uns aber auch viele in Europa noch völlig unbekannte Musiker vor, solche, die entweder die Öffentlichkeit scheuen oder ihren regionalen Tätigkeitsbereich nicht verlassen wollen. Ein gutes Beispiel hierfür ist die hingebungsvolle Liebe, mit der viele Gläubige Zeit ihres Lebens das Grab ihres Meisters nicht verlassen, ihm zu Ehren jahraus jahrein in einem musikalischen Gottesdienst ihre Lieder spielen. In erster Linie sind es innerpakistanische Wertkriterien und der Anspruch, einen möglichst guten Überblick zu bieten, wovon die Auswahl an Musikerportraits - jedem Musiker ist ein Kapitel gewidmet - bestimmt ist. Von jedem dieser Meister ist außerdem ein beispielhafter Liedtext abgedruckt, auffallend dabei, wie bei oftmals sehr ähnlichen Texten die Sprache der Liebe mal eher buchstäblich, mal eher als Anspielung auf göttliche Dinge fungiert. Prächtige Fotos von Horst A. Friedrichs fangen den Augenblick leidenschaftlicher Ekstase in den verwitterten Gesichtern der ausübenden Künstler wunderbar ein, und da jeder von ihnen ein besonderes Meisterinstrument besitzt, das er liebevoll pflegt und mit dem ihm eine intime Beziehung verbindet, werden auch die jeweiligen in Europa größtenteils unbekannten Instrumente in die Vorstellung miteinbezogen. Auch hier herrscht eine große Mannigfaltigkeit, von Instrumenten, die nur mehr in einstelliger Zahl existieren, da allzu schwierig zu bedienen, bis hin zu als Tasteninstrumente zweckentfremdeten portugiesischen Schreibmaschinen.

Und schließlich ist da noch die auf CD gebannte Musik, in der das verschiedene und das gemeinsame der Lieder beim Hören deutlich wird. Denn ob es sich um Instrumentalmusik handelt oder die menschliche Stimme im Vordergrund steht, ob ein strenges Schema vorherrscht oder - da viele Familien gleichzeitig Musikerensembles bilden, keine Überraschung - kühn improvisiert wird, ob ein lyrisches Klagelied ertönt oder ein hymnischer Gottesgesang, alle Lieder zeichnet ein überpersönlicher Aspekt aus, in Form eines schnellen, in seiner Monotonie in Trance versetzenden Rhythmus und einer leidenschaftlichen, gleichwohl immer kontrollierten Stimmführung, einer Motte vergleichbar, die voll Inbrunst die Flamme umschwirrt.
Wer sich in den Besitz dieses prächtigen Bildbandes zu bringen vermag, wird auf eine Weise in faszinierende neue Klangwelten eingeführt, die gleichzeitig auch seinen anderen Sinnen Gutes tut.

(fritz; juni 02)


Peter Pannke; Horst A. Friedrichs: "Troubadoure Allahs. Sufi-Musik im Industal"
Frederking/Thaler 1999
191 Seiten
ca. EUR 49,00
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