Alexander Pechmann: "Mary Shelley - Leben und Werk"

Biografie


Mary Shelley - eine bemerkenswerte Frau

Bei der Feuerbestattung ihres Gatten Percy B. Shelley wurde dessen Herz vom dubiosen Abenteurer Edward John Trelawny mit bloßen Händen den Flammen entrissen, um hinterher zu einem makabren Streitobjekt zu werden. Und als Mary Shelley die Asche ihres geliebten Mannes im Grab des gemeinsamen Sohnes William bestatten ließ, da fand man in diesem Grab das Skelett eines Erwachsenen vor. Fantastische, skurrile Begebenheiten aus dem ungewöhnlichen Leben einer ungewöhnlichen Frau; einer Frau, die Zeit ihres Lebens im Schatten ihres Ehemannes Percy Bysshe Shelley gestanden hat und literarisch fast immer nur mit ihrem Schauerroman "Frankenstein" in Verbindung gebracht wird. Ihr facettenreiches Gesamtwerk dem Vergessen zu entreißen, oder besser gesagt, es der deutschen Leserschaft überhaupt erst einmal vorzustellen (noch immer harren die meisten ihrer Werke einer Übersetzung ins Deutsche), dies unter anderem hat sich Alexander Pechmann mit seiner Mary Shelley-Biografie zum Ziel gesetzt.

Bis etwa zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts wurde das literarische Vermächtnis der Mary Shelley selbst in ihrer englischen Heimat vernachlässigt und zum großen Teil sogar als wertlos angesehen. Und ihr berühmtestes Werk - "Frankenstein"  - wurde erst circa neunzig Jahre nach  Erscheinen des englischen Originals ins Deutsche übersetzt!

Autobiografisches und persönliche Erlebnisse färben mehr oder weniger alle Werke Mary Shelleys, daher ist ihr literarisches Schaffen eng mit ihrem eigenen Lebenslauf verknüpft und wird auch von Alexander Pechmann unter diesem Aspekt betrachtet. Auch ihr bekanntestes Werk, der Roman "Frankenstein", trägt autobiografische Züge. Weit vom gängigen Klischee des trivialen Schauerromans entfernt, ist "Frankenstein" ein Buch, das die Vervollkommnung des Menschen zum Thema hat, wie es auch Gegenstand in Percy B. Shelleys und William Godwins (Marys Vater) Schriften ist. Im "Frankenstein" muss dies aber mehr als eine Hybris gedeutet werden, und der Roman trägt dazu auch noch unverkennbar satirische Züge. Aber Deutungen zum "Frankenstein" gab und gibt es viele, sogar als Symbol für die jakobinische Schreckensherrschaft zur Zeit der Französischen Revolution wurde Frankensteins Monster angesehen. Vor allem aber spiegelt sich im Frankenstein-Roman Mary Shelleys Weltbild wider. Hoffnungslos und düster scheint dieses Weltbild gewesen zu sein, denn ihr "Frankenstein" ist ein Roman der Einsamkeit und der Verzweiflung, er handelt vom Leben eines Ausgestoßenen, des künstlichen Menschen, der aufgrund seiner Verzweiflung schließlich zum mordenden Ungeheuer wird. Legt man aber nur die Worte zugrunde, die Mary Shelley dem Monster in den Mund legt, dann ist dieses Monster noch der menschlichste aller im Roman agierenden Protagonisten. Die brüchigen, verworrenen Familienverhältnisse Viktor Frankensteins - unseliger Schöpfer des Monsters - könnten denen der Mary Shelley entsprechen, auch hier also das autobiografische Element, die Schauplätze des Romans sind die ihres eigenen Aufenthaltes in der Schweiz.

Das Leben ohne einen Gefährten, ein Leben in totaler Einsamkeit also, wie es das Monster aus "Frankenstein" zu führen verdammt ist, das teilt auch der "Letzte Mensch" in Mary Shelleys gleichnamigem Roman, wo sie eine düstere Weltuntergangsstimmung heraufbeschwört. Auch dieses Werk enthält wieder autobiografische, ganz persönliche Schattierungen. Es ist ein Buch des Scheiterns, der Zerstörung des idealisierenden romantischen Menschenbildes und gleichzeitig ein Vorläufer der modernen "Science Fiction"-Literatur. Auch diesem sowie allen anderen größeren Werken Mary Shelleys widmet Alexander Pechmann ein ganzes Kapitel. Etwas überzogen erscheinen mir allerdings die allzu detaillierten Porträts der in Mary Shelleys Romanen handelnden Personen, deren verwandtschaftliches und gesellschaftliches Beziehungsgeflecht Pechmann seinen Lesern haarklein auf vielen Seiten darlegt, statt sich auf das Wesentliche, nämlich Gehalt und Hintersinn der Romane zu konzentrieren. Und auch die Schilderung von Mary Shelleys letzten Lebensjahren erschöpft sich großenteils im Aufzeigen ihrer persönlichen Beziehungen innerhalb der oberen englischen Gesellschaftsschichten und wird von daher immer unspektakulärer, um nicht zu sagen: langweilig.

Im Nachwort geht es vornehmlich um die "Frankenstein"-Rezeption in neuerer Zeit, wo der ganze tiefe, moralisch-philosophische Hintergrund des "Frankenstein"-Stoffes von Hollywood & Co. zurechtgestutzt wird auf Triviales und teilweise sogar Lächerliches. Anmerkungen, ein Literaturverzeichnis, dazu ein Verzeichnis der Bühnenfassungen von "Frankenstein", eine umfangreiche Bibliografie, sogar für das Thema Mary Shelley/Frankenstein relevante Internetadressen sowie ein ausführliches Stichwort-Register beschließen den insgesamt gelungenen, informativen Band, der in einigen Passagen vielleicht etwas hätte gestrafft werden können.

(Werner Fletcher; 09/2006)


Alexander Pechmann: "Mary Shelley - Leben und Werk"
Artemis & Winkler, 2006. 310 Seiten.
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