Gerhard Börner: "Schöpfung ohne Schöpfer?"

Das Wunder des Universums


Berührungspunkte zwischen Physik und Religion

Augustinus schreibt in "Confessiones": "Siehe, ich antworte dem, der fragt: Was tat Gott, bevor er Himmel und Erde erschuf? Ich gebe ihm nicht die Antwort, die einst jemand scherzweise gegeben haben soll, um der Schwierigkeit dieser Frage zu entgehen: 'Er bereitete denen, die sich vermessen, jene hohen Geheimnisse zu ergründen, Höllen.'" Ein treffliches Zitat, das den wesentlichen Inhalt des Buchs anklingen lässt und daher vom Autor aufgegriffen wird.
Denn die moderne Physik braucht keinen Schöpfergott, doch ausschließen kann sie seine Existenz keineswegs; und bisweilen käme er uns ganz gelegen, um Antworten zu geben auf vielleicht ewig unlösbare Fragen wie jene, was vor dem Urknall war; möglicherweise eben jener Gott, der die Hölle für die lästigen Frager schuf.

In der Einführung umreißt der Autor kurz die Fragestellungen, denen Astrophysiker oft begegnen, weil ihr Gebiet die berühmten Fragen: Woher kommen wir? Wohin gehen wir? nicht nur streift, sondern auch beantwortet - freilich nicht in der Gänze, und somit kommt es zu Überschneidungen zwischen Astrophysik, Philosophie und Theologie.
Der erste Abschnitt des Buchs befasst sich mit dem Makrokosmos: mit der Natur des Universums und seiner Geschichte, einschließlich jener seiner Elemente, wozu Sterne und Galaxien zählen, ganz wesentlich jedoch auch die mysteriöse Dunkle Materie und Dunkle Energie. Die Forscher sind sich darüber einig, dass der Urknall den Beginn der Raumzeit und damit des Universums markiert. Das Ende ist noch nicht geklärt; hier kommt den im Buch ausführlich besprochenen Schwarzen Löchern möglicherweise eine zentrale Bedeutung zu, in denen die Materie endet - und mit ihr die Raumzeit; etliche Jahrmilliarden später wandeln sich die Schwarzen Löcher in Strahlung um.
Schwarze Löcher zeigen folglich ein Verhalten, das sich zum Teil nur über die Quantenphysik erklären lässt, und logischerweise geht es im zweiten Abschnitt um die Welt der Quanten und der Elementarteilchen. Der Autor stellt die wichtigsten Spezies und Familien aus dem Elementarteilchenzoo vor und erläutert die Suche nach der vereinheitlichten Theorie der Kräfte, die zu erfüllen die Superstringtheorie verspricht. Manche Eigenschaften subatomarer Teilchen, vor allem die so genannte Verschränkung gleichzeitig entstandener Teilchenpaare, bieten Ansätze für revolutionäre neue Techniken.
Im letzten Abschnitt diskutiert der Autor Möglichkeiten, Naturwissenschaft und Theologie zur Gewinnung eines umfassenden Weltbildes heranzuziehen. Er zeigt Berührungspunkte auf und untersucht Argumente, so das schwache und das starke anthropische Prinzip, auf ihre Stichhaltigkeit. Es erscheint logisch, dass der menschliche Geist, der sich (zumindest bislang) nur zum Teil über elektrochemische Vorgänge in Gehirn und Nerven erklären lässt, mit im Zentrum dieser Betrachtung steht, verkörpert er doch beides: die Suche nach den Ursprüngen beziehungsweise den Zusammenhängen und die Suche nach dem Sinn.

Das Buch deckt ein breites Spektrum der Astrophysik und der theoretischen Physik ab, und der Autor scheut sich nicht davor, recht komplexe Themen auf durchaus hohem Niveau einzubeziehen. Daher stellt sich die Frage nach der Zielgruppe, denn für Laien ohne Grundkenntnisse ist die Darstellung nicht immer ausreichend detailliert, außerdem dürften auf sie die zahlreichen Gleichungen abschreckend wirken, die doch wesentlich komplexer sind als das vertraute E = m  c². Unter den populärwissenschaftlichen Büchern befindet sich dieses eher auf der wissenschaftlichen Seite; wer allerdings Hawkings Bestseller und themenverwandte Einführungen gelesen und verstanden hat, besitzt das Rüstzeug für Gerhard Börners Buch, das mit diesem Einwand nicht negativ bewertet werden soll: Es ist schlüssig, anschaulich und spannend verfasst - nur eben auf beachtlichem Niveau. Zahlreiche Skizzen und eine Reihe interessanter Fotografien bieten willkommene Ergänzung und Hilfestellung.
Der letzte Teil erweist sich als bestens allgemeinverständlich. Hier berührt der Autor Fragen, die sich jeder nicht allzu oberflächliche Mensch zwangsläufig stellt, und er diskutiert sie sensibel - ohne Religiosität oder auch Atheismus zu diskriminieren - und sehr sachlich. Eine verbindliche Lösung vermag er natürlich nicht anzubieten, wohl aber gut begründete Wege zur Annäherung aus den unterschiedlichsten Richtungen.

(Regina Károlyi; 10/2006)


Gerhard Börner: "Schöpfung ohne Schöpfer?"
DVA, 2006. 216 Seiten.
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Gerhard Börner, geboren 1941 in Plauen, ist Professor für Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Astrophysik in Garching. Dort widmet er sich der Erforschung des frühen Universums und der Galaxienentstehung.

Ein weiteres Buch des Autors:

"Kosmologie"

Urknall, Hubble-Expansion, Mikrowellenstrahlung, Kosmologische Modelle, Allgemeine Relativitätstheorie, Elementeentstehung, Strukturbildung, Sternentwicklung, Dunkle Materie und Energie, Schwarze Löcher, Das inflationäre Universum. (Fischer)
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