Peter Rühmkorf, Andreas Schilling, Dietmar Bonnen: "Früher, als wir die großen Ströme noch..."
Rühmkorf Gedichte mit Musik
gesprochen von Peter Rühmkorf
(Hörbuchrezension)


Musikantenpoesie

Man sagt, Rühmkorf (Jg. 1929) sei einer der wichtigsten zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren - einer der vielseitigsten ist er zweifelsohne - wenn wir ihn auch in der Hauptsache als Lyriker kennen. So präsentiert er sich auch auf der vorliegenden CD, welche die Lyrik begleitend Kompositionen von Dietmar Bonnen und Andreas Schilling zu Gehör bringt. Diese Zusammenarbeit hat ihren Ursprung in einer Live-Veranstaltung der lit.Cologne 2001 - was damals Improvisation war, wurde nun eigens komponiert.

Als Pamphletist war Rühmkorf u.a. Textlieferant für die Zeitschrift konkret, er trug immer wieder seine Gedichte auch mit Jazz-Begleitung vor - oder war Gastdozent an diversen Universitäten in Deutschland und Amerika. Für Marcel Reich-Ranicki ist das Widersprüchliche Rühmkorfs "eigentliches Element" - er sei ein "Dichter der Gasse und Masse" ebenso wie ein "raffinierter Schöngeist" - jedenfalls einer, der "die Lyrik auf den Markt gebracht" hat. Als ihm 1993 der Büchner-Preis verliehen wurde, bescheinigte ihm die Jury, sein Werk bewege sich "im Spannungsfeld politischer Wirkungs- und persönlicher Ausdrucksästhetik". Rühmkorf selbst hat sich immer schon als "Aufklärer in kleinen Schritten" gesehen - wenn er auch etwas larmoyant den Erfolg seiner Altersgenossen Enzensberger, Grass, Lenz und Walser beklagt. Ob es ihn tröstete, dass Enzensberger ihn als den "größten lebenden Vers-Virtuosen Deutschlands" rühmte?

Und was verraten uns durch die Musikantisierung hindurch die Texte des Poeten? Ein 'Ansteckendes Pfeifen' in der Parkallee (anrührend) - 'Rückblickend mein eigenes Leben' berichtet vom Grabesrand und vom Lieblingscardiologen (größtmöglicher Kalauer: "Ah, im Kühlschrank brennt noch Licht!" oder doch womöglich: "Bis der letzte Biss und der letzte Schiss in einem Reim zusammenfanden") - 'Lyncheus der Türmer' ("Was verschafft uns die Ehre zu leben?") - und dann heißt die ''Letzte Ausfahrt Ithaka', wo "graue Spatzen goldene Eier legen" - dann ein 'Überraschendes Wiedersehen' (makaber-jovial - Beispiel: "die Arschbacken des Todes") und ein Abgesang auf die Glaubwürdigkeit und den Kommunismus - ach ja und dann das Ausspielen der "aufgeregten Hoffnungsträger" gegen den "einfachen Menschen" - und dann doch noch die Botschaft: "aber nun nur nicht vorsichtig werden" - WOW - das ist mutig -  was will er - was kann er - was tut er - während sich die Musiker vereludieren, wagt er die Besinnlichkeit - wenn er nicht wäre, welcher Rest der Welt wäre dann ("selbst meine Tante wär' nicht meine Tante") -  und was sagt uns das Titelgedicht ("der Tag ist gelaufen" - "irgendso eine blindgeborene Mickeymouse wird sich ja noch finden") - und dann noch ganz wichtig 'Ich liebe Dich, Liebe' ("nur schade, dass das Verschmerzen tagtäglich beschwerlicher wird") - und dann noch das 'Altern als Problem' ("Hass bis zur Nichtvorhandenheit") - wovor schrickt der Rühmkorf überhaupt zurück - vor der eigenen Übersehbarkeit höchstens - und das wäre ja wohl auch legitim.

Ein wirklich raffiniertes Machwerk - poetisierte Musik und musikisierte Poesie - schön, dass das der Rühmkorf so effektvoll rübergebracht hat - denn nur so kann das heutzutage funktionieren - ja wenn man kongeniale Musiker findet, dann wird auch aus der Poesie ein veröffentlichbares Produkt. Und dann rumoren dazu auch noch diese gnadenlosen Aussagen. Es sollte ohnehin klar sein, dass sich der Poet und der Kabarettist nicht entschuldigen müssen - und der Rühmkorf ist irgendwie ein poetisierender Kabarettist bzw. ein kabarettisierender Poet. Also trösten wir ihn und seine Ruhmprobleme durch Aufmerksamkeit. Er ist ein echt symbiotischer Genius zwischen Banal Genial - medialgenerativ so etwas wie ein Goethe für die Fußgängerzone.

(KS; 02/2007)


Peter Rühmkorf, Andreas Schilling, Dietmar Bonnen: "Früher, als wir die großen Ströme noch..."
Rühmkorf Gedichte mit Musik
gesprochen von Peter Rühmkorf

Random House Audio, 2007. 1 Audio-CD; Laufzeit ca. 47,09 Minuten.
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Peter Rühmkorf, geboren am 25. Oktober 1929 in Dortmund, war einer der wichtigsten zeitgenössischen deutschsprachigen Autoren. Er schrieb Lyrik, Essays, Theaterstücke, Märchen und führte Tagebuch. Er erhielt zahlreiche Auszeichnungen, u. a. "Erich-Kästner-Preis", "Bremer Literaturpreis", "Arno-Schmidt-Preis", "Heinrich-Heine-Preis" und "Büchner-Preis". Peter Rühmkorf starb am 8. Juni 2008 in Alter von 78 Jahren an Krebs.