Esther Mujawayo, Souâd Belhaddad: "Ein Leben mehr"

Ergreifend und ungeheuer lebendig schildert Esther Mujawayo mit Hilfe der Journalistin Souâd Belhaddad, die ihre Erzählung aufgeschrieben hat , wie sie die Kraft für ein Leben nach dem Völkermord aufbringt.
"Es kam ein Moment, in dem ich mir sagte: 'Wenn du überleben willst, Esther, musst du dich dem widmen, was dir geblieben ist, und nicht dem, was du verloren hast'."


Im April 1994 begann mit der Ermordung des amtierenden Präsidenten Habyarimama in Ruanda der erste Genozid, der noch während seines kurzen Verlaufs in der internationalen Presse auch tatsächlich als ein solcher bezeichnet, trotzdem nicht von der Völkergemeinschaft unterbunden wurde. Aus welchen Gründen auch immer.

Esther, die Tochter eines Predigers und Lehrers, musste von ihrer Geburt im Jahr 1958 an immer wieder am eigenen Leib erfahren, wie die Hutu die Tutsi verfolgten, und mehrfach musste ihre Familie das Haus neu aufbauen, nachdem in Ruanda wieder einmal "der Wind geweht" hatte, wie die Hutu und auch die Tutsi schon seit langem ethnische Säuberungen nannten.

Abgesehen von der Beschreibung der Entwicklungen, die 1994 zum Völkermord geführt hatten und des Verlaufs desselben, berichtet dieses Buch auch aus Esthers Sicht von den Nachwehen dieser Geschehnisse, die bis heute in einem unvorstellbaren, oder zumindest weitgehend ignorierten, Maß anhalten.
Weiters wird die Arbeit der Organisation "Avega" geschildert, an der sie selbst von Anfang an rege mitwirkt und die dringend zusätzliche Unterstützung benötigt.

Seltsamerweise ist "Ein Leben mehr" jedoch keineswegs ein offensichtlicher Spendenappell; höchstens sehr indirekt. Esther ist erbost über die Art, wie die internationale Gemeinschaft und auch der internationale Gerichtshof mit der Tatsache des Genozids und dessen Spätfolgen umgingen. Diese Empörung zeigt sich auf jeder Seite dieses Buchs, denn Esther Mujawayo ist keine Vermittlerin zwischen Hutu und Tutsi. Sie hasst und verachtet die Mörder ihrer Verwandten und Bekannten. Zudem ist sie wütend auf die Reglosigkeit und stellenweise Rücksichtslosigkeit, mit der in der Weltöffentlichkeit mit dem Thema umgegangen wurde.

Die Berichte stammen aus verschiedenen Interviews, weshalb im Vorwort darum gebeten wird, über gelegentliche inhaltliche Wiederholungen hinweg zu sehen. Diese fallen beim Lesen aber kaum ins Gewicht, und die unverhohlene Darstellung der Emotionen verleiht Esthers Bericht große Eindringlichkeit.

Das Buch schließt mit einer Auflistung von "Esthers" Toten und einer Chronologie der Ereignisse in Ruanda von 1898 bis 2004. Ein unversöhnliches Zeitzeugnis über Ereignisse, die Viele schon wieder verdrängt, Andere nie wahrgenommen haben, und die dennoch niemals vergessen werden dürfen.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 01/2006)


Esther Mujawayo, Souâd Belhaddad: "Ein Leben mehr"
(Originaltitel "Rwanda, dix ans apres le genocide")
Deutsch von Jutta Himmelreich.
Peter Hammer Verlag, 2005. 337 Seiten.
ISBN 3-7795-0029-9
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