Emili Rosales: "Tiepolo und die Unsichtbare Stadt"


Historische Verflechtungen um ein atemberaubendes Bauvorhaben, gefährliche Liebe und ein verlorenes Gemälde

Dem Galeristen Emili Rosell aus Barcelona werden anonym die autobiografischen Notizen eines italienischen Architekten aus dem 18. Jahrhundert zugespielt. Andrea Roselli aus Arezzo wird im Jahr 1759 an den Königshof nach Madrid gerufen. Zu den ersten Aufträgen Rosellis gehört es, den prominenten venezianischen Maler Giambattista Tiepolo nach Spanien zu holen. Dort herrscht seit kurzem der aus Süditalien stammende Bourbone König Karl III., der im Ebrodelta eine prächtige Stadt nach dem Vorbild Sankt Petersburgs errichten möchte. Roselli nimmt auch an einer Erkundungsreise an den Hof der Zarin Katharina der Großen teil.

Die künstlerisch-diplomatischen Missionen und das Liebesleben des Architekten fließen ein in den Alltag von Emili Rosell. Dieser Galerist teilt sich mit dem Italiener (und dem katalanischen Autor Emili Rosales selbst) nicht nur einen Namen, der sich von jener Blume ableitet, die Liebe, Geheimnis und Verschwiegenheit symbolisiert, sondern auch unabgeschlossene Liebesbeziehungen und obskure Freunde. Die Suche nach einem wertvollen Gemälde Tiepolos scheint der einzige Ausweg aus einer verzwickten Situation nach dem Selbstmord von Rosells Gefährten aus Jugendtagen. Mit Hilfe der Aufzeichnungen Rosellis dringt der Katalane tief in seine eigene Vergangenheit und in unaufgeklärte Vorkommnisse aus der Geschichte seiner Familie und der Region um das Ebrodelta ein.

Die Indizien aus der Vergangenheit und Ermittlungen in der Gegenwart treiben den Roman in zwei sich verschränkenden Rhythmen voran; die Kapitel beschreiben abwechselnd jeweils aus der Perspektive eines Ich-Erzählers und im Stil der Zeit Episoden aus dem 18. und aus dem 21. Jahrhundert. Das Kennenlernen der eigenen Vergangenheit verknüpft sich so mit dem Studium der Region und einer lebenslangen Suche nach der Identität, dem Überwinden von weißen Flecken im eigenen Leben und Land.

So wie sich die geplante Stadt in den Beratungen des königlichen Hofstaates und schließlich in den Sanden des Ebrodeltas verliert, verlaufen auch die Erinnerungen an Kunstwerke und frühere Lebensabschnitte. Emili Rosales zeigt gekonnt, wie faszinierend die Entdeckung der lokalen Geschichte und der eigener Persönlichkeit ineinander spielen.

Der 1968 geborene Autor stammt selbst aus Sant Carles de la Ràpita, den Resten jener Stadt, die König Karl III. durch seine Bautätigkeit zu Ruhm, Ehre und Glanz bringen wollte. Für den Roman "Tiepolo und die unsichtbare Stadt" erhielt er 2004 den "Sant Jordi"-Preis, den angesehensten und höchstdotierten Literaturpreis für Romane in katalanischer Sprache.

(Wolfgang Moser; 06/2007)


Emili Rosales: "Tiepolo und die Unsichtbare Stadt"
(Originaltitel "La Ciutat invisible")
Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt.
Piper-Verlag, 2007. 330 Seiten.
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