Gerhard Richter: "Landschaften"


Dieser prachtvolle Bildband ist dem Schaffen des 1932 in Dresden geborenen und in der Oberlausitz aufgewachsenen Gerhard Richter gewidmet, der seit seinem Umzug in den Westen im Jahre 1961 zu den profiliertesten internationalen Künstlern zählt. 

„Ich sehe unzählige Landschaften, photographiere kaum eine von 100.000, male kaum eine von 100 photographierten. Ich suche also etwa ganz Bestimmtes.“ Was dieses ganz Bestimmte nun wirklich ist, hat Gerhard Richter nicht dezidiert gesagt, vielleicht ist es ihm auch gar nicht bewusst; aus seinem umfangreichen Schaffen an (vorwiegend) relativ großflächigen Ölbildern lässt es sich auch nur bestenfalls erahnen. In Summe scheint er flache bis leicht wellige Landschaften zu bevorzugen, obschon sich in seinem Oeuvre auch relativ wilde Hochgebirgsszenerien finden, die jedoch wiederum auch nicht in Widerspruch zu einer gewissen Vorliebe für das Unscheinbare stehen. 

Apfelbäume scheint er zu mögen, überhaupt Wiesen- und Felderlandschaften. Erstaunlicherweise wird das auffälligste und vordergründigste Merkmal Richters Kunst, die Unschärfe, von Kritikern und Kommentatoren, wenn überhaupt, nur am Rande erwähnt. In einem Interview darauf angesprochen, gestand Richter zu, dass die Unschärfe aus dem technischen Unvermögen verwackelter Photographien resultiere, jedoch dürfe man das danach gemalte Bild eigentlich nicht als „unscharf“, sondern bloß als „ungenau in Bezug auf den dargestellten Gegenstand“ bezeichnen. Der Vergleich mit der Realität sei überhaupt unzutreffend, die „Unschärfe“ zeige das „Anderssein“ des Bildes. Dieses also unscharfe „Anderssein“ ist die wohl bemerkenswerterste Ausprägung des Richterschen Personalstils, entstammend der Inspiration, die Richter aus mal verwackelten, mal überbelichteten, überhaupt äußerst – vordergründig betrachtet – auch in formaler Hinsicht stümperhaft gestalteten Photos bezieht. 

Wie aus derartigen Vorgaben beeindruckende Kunstwerke werden, ist wahrlich faszinierend und nicht nur mit der technischen Vollkommenheit Richters zu erklären. Den Geheimnissen Richters Künstlerschaft hier auf die Spur zu kommen, ist natürlich ein völlig vermessenes Unterfangen. Konstatiert werden kann lediglich, dass sich aus der Verschwommenheit ein Stil ergibt, der - trotz Richters unbestreitbarer Modernität - Romantik und Impressionismus gar nicht so fern steht. „Romantisch schön“ sind denn auch Richters (zumeist auch so bezeichnete) abstrakte Bilder, die stets auch irgendwie an Landschaften erinnern. Überhaupt sind die Grenzen zwischen Undeutlichkeit und Unbestimmbarkeit (=Abstraktion) fließend, was Richter mitunter durch abstrakte Übermalungen von Landschaftsbildern noch fördert. Selbstsichere Antworten zu seinem Schaffen hat Richter stets verweigert, ja er stand nicht an, seine Verklärung von Landschaft und Natur als „verlogen“ anzuprangern, denn die Natur sei doch im Grunde gnadenlos, geistlos und unmenschlich (worüber viel zu sagen wäre, denn gerade die Sinnhaftigkeit – von Gnadenfülle, Geist und Humanität ganz zu schweigen – der vom Spätkapitalismus weltweit geschaffenen Realitäten ist wohl doch mehr als nur in Zweifel zu ziehen. Ob im Vergleich dazu ein Ökosystem nicht weit besser abschneidet?) 

Immerhin bietet dieser selbstkritische Standpunkt Richters eine Art Qualitätsgarantie für seine Werke, die so immer ehrlich und kraftvoll frisch bleiben, wovon dieser schöne Bildband eindrucksvoll Zeugnis ablegt. 

(Franz Lechner; 07/2002)


Gerhard Richter: "Landschaften"
Hatje Cantz Verlag, 2002. 128 Seiten
mit 63 Abbildungen. Sonderausgabe.
ISBN 3-7757-9105-1.
ca. EUR 24,80.
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