Demetri Dimas Efthyvoulos: "Geister des Regenwaldes.
Die Pforten der Wahrnehmung öffnen"

"Die wirkliche Magie besteht nicht im Sehen neuer Landschaften, sondern im Sehen mit neuen Augen." (Marcel Proust)


Haben Sie vielleicht als Kind in den Wandrissen Ihres Schlafzimmers alle möglichen seltsamen Gestalten gesichtet, sie mit Ihrer Fantasie genährt und Geschichten zu ihnen ersonnen? Oder im Gras liegend die sich solcherart zu einem Urwald en miniature verwandelnde Graslandschaft beobachtet? Wer mit derlei Wahrnehmungsveränderungsspielen vertraut ist, wird leichten Zugang zum faszinierenden Werk des zypriotischen Fotografen Demetri Dimas Efthyvoulos finden. Efthyvoulos lebte von 1980 bis 1990 in der Stadt Iquitos im peruanischen Amazonasgebiet und schuf in dieser Umgebung ein neues Genre fotografischer Bilder, wovon vierzig die Pioniertätigkeit ihres Schöpfers illustrierende Beispiele in diesem Buch zu finden sind. Es handelt sich durchwegs um Aufnahmen von Stellen des Amazonas, die mit einer Verschlusszeit von 1/60 bis 1/250 Sekunde fotografiert wurden, wobei das Ufer und dessen Spiegelungen im Strom je eine exakt symmetrische Hälfte des Bildes ausmachen. Dreht man dieses nun um 90 Grad, ergibt sich eine schöne zentrale Linie, an der entlang sich dem Auge allerhand Umrisse, Formen, Gestalten und Gesichter offenbaren. Efthyvoulos nennt sie Regenwaldgeister, und in der Tat erinnern die Fotos in ihrer Ästhetik stark an diverse indische Götterbilder, Mayastelen und sonstige spirituell-animistische Regenwaldkunst. Wie diese dienen auch die Fotografien von Efthyvoulos zum Meditieren und Träumen, indem sie Einblicke in andere Wirklichkeiten ermöglichen und unsere Verbundenheit mit der Natur stärken. Was für Gestalten es sind, die wir beim Betrachten zu erkennen glauben, ist natürlich in einem hohen Maß von unserer persönlichen Stimmung und kulturellen Herkunft, unseren Einstellungen, Vorurteilen etc. beeinflusst und bietet uns, wenn wir die Aufmerksamkeit auf unsere eigenen Reaktionen, Gefühle, Gedanken, Assoziationen richten, eine feine Hilfe, mit tieferen Schichten unserer Psyche vertraut zu werden - Natur, Geist, kulturelle Projektion werden, wie der Anthropologe Dr. Luis Eduardo Luna im Vorwort schreibt, gleichzeitig enthüllt.

Von Dr. Luna das Vorwort; "Impressionen auf einem Wasserfilm" - Erläuterungen zu den Fotos anlässlich einer Diaprojektion in Bogota 1989 stammen von Professor Adolpho Chaparro Amaya; Efthyvoulos selbst begleitet die Präsentation seiner Bilder mit kurzen, aber reichhaltigen Texten, die diverse zusammenhängende Themen berühren und die Weltsicht, in der er lebt und fotografiert, klar zum Ausdruck bringen. Nicht nur ist die Kunst aller Kulturen, die in der Nähe von Flüssen und Seen ihren Ursprung hat, mit Bildern und Spiegelungen eng verknüpft, auch religiöse Praktiken und Glaubensvorstellungen wurden und werden stark durch das Element des Wassers und seine Spiegelfunktion beeinflusst. Erst recht gilt dies natürlich für jenes größte irdische Süßwasserreservoir namens Amazonien, wo während der Regenzeit riesige Gebiete monatelang unter Wasser stehen, der Strom das dichte Blätterwerk in unzähligen Lichtreflexen zurückwirft. In vielen Kulturen des Amazongebiets gilt dieser Wasserspiegel den Einheimischen als Vorhang am Eingang zu ihrer Urheimat, zu der unvergänglichen Welt, aus der heraus sie in die Stammesgemeinschaft geboren wurden und in die sie nach dem Tod wieder eingehen werden. Von den Schamanen des Amazonas wird die magische Grenze von Land und Wasser, Tag und Nacht, Ober- und Unterwelt systematisch genutzt, um durch diese relativ offene Pforte in andere Dimensionen der Wirklichkeit zu gelangen. So war es wohl kein Zufall, dass Efthyvoulos das Initiationserlebnis zu seinen Regenwaldgeisterfotos auf einer Bootsfahrt hatte, als eine Ayahuasazeremonie, zu der er von den Einheimischen eingeladen worden war, noch nachklang, die Sinne geschärft waren für jenes pulsierende, summende, schwirrende, alles umfassende Kontinuum, als welches er Amazonien so schön beschreibt, und eine innere Stimme ihm befahl, seine Kamera auf eine Lichtspiegelung zu richten und - entgegen seiner Vernunft, die sich ob der befürchteten Verschwendung von Film besorgt zeigte - abzudrücken. Dass Universitätsprofessoren, Amazonasschamanen wie auch Efthyvoulos` berühmter Landsmann, der Daskalos von Strovolos von den Fotos sehr angetan waren, kann jedenfalls als starkes Indiz dafür gelten, dass den Bildern mehr als ein Potenzial für Eigenprojektionen und eine Schönheit des Zufalls innewohnt.

Das stetig wachsende Interesse an Schamanismus ist auch als Teil einer weltweiten Reaktion auf den Verfall von Ökosystem und Biosfäre zu werten. Vom größten Regenwald der Erde werden jährlich riesige Flächen gerodet, was nur ein besonders drastisches Beispiel dafür ist, dass trotz Kyoto-Abkommen und Grün-Bewegungen weiterhin ein rück- oder besser vorsichtsloser Raubbau an der Natur betrieben wird. Viel zu wenig noch sind wir uns des hemmungslos ausbeuterischen, stumpf materialistischen Ungeists, der sein Walten durch Söldlinge verharmlosen, schönreden und als notwendig darstellen lässt, bewusst. Doch schon geringfügige Perspektivenwechsel werden auch unsere inneren Sichtweisen und Wertehierarchien verändern, einfache Atemübungen, wie sie uns Efthyvoulos vorstellt, können große Wirkungen erzielen, und auch die stille, in die Tiefe gehende Kraft seiner Fotografien ist nicht zu unterschätzen. Nur an uns selbst liegt es, wie Efthyvoulos betont, die notwendigen Veränderungen einzuleiten. Wollen wir - extrem gefragt - eine Wiederbelebung der Religion im Sinne einer alltäglichen Mystik wagen, indem wir die Spaltung zwischen Natürlichem und Heiligem verringern und uns auf ein Leben im Einklang mit den Rhythmen der Natur rückbesinnen, oder lieber als bösartige Hautkrankheit der Erde in die Naturgeschichte eingehen?

(fritz; 12/2004)


Demetri Dimas Efthyvoulos: "Geister des Regenwalds"
AT-Verlag, 2004. 80 Seiten; ca. 40 Farbfotos.
ISBN 3-85502-819-2.
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