Douglas Preston: "Jennie"

Ein sehr schönes, sehr trauriges aber auch sehr zum Nachdenken anregendes Buch


Preston ist als Wissenschaftsautor bereits ziemlich bekannt, und auch seine Romane erfreuen sich sowohl bei den Leserinnen und Lesern - wie auch bei den Filmproduzenten - zu Recht größter Beliebtheit. Dieser Roman behandelt nur zum Teil fiktionale Ereignisse, denn er sammelt Material über das Zusammenleben von Schimpansen und Menschen, das auf realen Ereignissen beruht. Diese Ereignisse sind in der Form von Interviews mit den beteiligten Personen zusammengefasst, wobei besonders Hugo Archibald und seine Familie eine große Rolle spielen, aber auch einige Menschen in ihrem näheren Umfeld.

Jennie, die Haupt"person" dieser Geschichte, kann sich hier nicht äußern. Dies liegt in erster Linie daran, dass sie zum Zeitpunkt der Aufzeichnung dieser Ereignisse nicht mehr lebt, und dieses Buch ist damit auch gleichzeitig eine Art Kriminalroman, der zu erklären versucht, wie es zu ihrem Tod gekommen ist.

Im April 1965 befand sich Hugo Archibald in Kamerun, um dort Skelettteile von Primaten für seine evolutionären Forschungen zu sammeln. Eines Tages bringen zwei eingeborene Jäger eine sterbende Schimpansin in sein Lager, die kurz vor ihrem Tode noch ein Junges zur Welt bringt. Bezaubert von den großen Augen und der Anhänglichkeit der Kleinen, nimmt Dr. Archibald sie mit in die USA und außerdem das kleine Wesen in seine Familie auf. Dabei wird er von seinem Museum und von einem Primatenforschungsinstitut unterstützt, die beide Interesse daran haben zu sehen, wie sich ein Schimpanse in einem häuslichen Umfeld entwickelt. Da Jennie durch Mitglieder des Instituts die Zeichensprache erlernt, genau wie die Mitglieder der Familie, ist eine begrenzte Kommunikation zwischen allen Beteiligten möglich. Jennie erweist sich als überaus liebenswert und intelligent und fügt sich auf ihre Art zunächst ganz gut in das Leben im Haus der Archibalds ein. Die Einzige, die mit der Situation wirklich nicht glücklich ist, ist die jüngste Tochter der Familie, die wegen der Aufmerksamkeit, die die Schimpansin fordert, ständig zurück stecken muss. 

Es folgen einige Jahre mit mehr oder weniger ruhigen und lustigen Ereignissen, wie man sie teilweise mit eher unrealistischen Filmen über Schimpansen in einem häuslichen Umfeld in Verbindung bringt. Zunächst belustigt es die Menschen, dass Jennie sich bei einem Sortieren von Fotos nach Menschen und Tieren Schimpansen den Tieren zuordnet, sich selbst aber den Menschen. Sie scheint sich tatsächlich als ein vollwertiges Familienmitglied zu sehen. Als aber ihre Pubertät einsetzt und sie darauf in typischer Schimpansenmanier reagiert, wird das Leben im Haus der Archibalds unerträglich, und als auch noch sowohl das Museum als auch das Institut durch die Golden Fleece Award-Verfahren ihre Finanzierung für das Projekt Jennie verlieren, muss die Schimpansin an einen sehr unangenehmen Ort umziehen.

Die Frage der Intelligenz und Sprachfähigkeit von Menschenaffen ist immer noch nicht eindeutig geklärt in der Fachwelt, wenn auch für den Autoren dieser Rezension. (Ich bin dafür). Und dieser Streit spielt in diesem Buch durchaus eine wichtige Rolle, genau wie die Theorie der kognitiven Psychologie und Linguistik. Aber daneben spielen auch philosophische und religiöse Fragen eine wichtige Rolle, die bei unserem Umgang mit unseren nächsten Verwandten - und wer mehr darüber erfahren will, wie nah diese Verwandtschaft ist, dem empfehle ich Jared Diamonds "Der dritte Schimpanse" und so ziemlich Alles von Frans de Waal -, die hier ehrlicherweise nicht abschließend geklärt werden. Ein sehr schönes, sehr trauriges aber auch sehr zum Nachdenken anregendes Buch, das man einfach gelesen haben sollte. Danach wird man "Unser Charly" einfach nur noch zum ... finden. 

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 10/2002)


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Jared Diamond: "Der dritte Schimpanse. Evolution und Zukunft des Menschen"
Fischer-Taschenbuch, 1998. 499 Seiten. 
ISBN 3-5961-4092-7.
ca. EUR 10,90.
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