Frank J. Tipler: "Die Physik der Unsterblichkeit"

Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten


"Entweder ist Theologie blanker Unsinn, eine Wissenschaft ohne Gegenstand, oder aber die Theologie wird letztlich ein Teilbereich der Physik." (Frank J. Tipler)

Wissenschaft und Religion
In der "Kritik der reinen Vernunft" erklärte Immanuel Kant, die drei grundlegenden Probleme der Metaphysik seien von der Wissenschaft nie und nimmer zu lösen: Gott, Freiheit und Unsterblichkeit. Frank Tipler, Professor für mathematische Physik an der Tulane University in New Orleans, ist anderer Meinung. Seine Antwort: "Wahrscheinlich existiert Gott, wahrscheinlich haben wir einen freien Willen und wahrscheinlich gibt es ein Leben nach dem Tod". Tipler verwendet das Wort "wahrscheinlich", weil es in der Wissenschaft keine absolute Gewissheit gibt. Für sein Entwicklungsmodell des Universums benötigt er keine vitalen Kräfte. Er erklärt den Menschen und die Strukturen der Welt mit den Mitteln der Physik. Religiöse Glaubensbekenntnisse wie "Auferstehung von den Toten" und "Unsterblichkeit der Seele" sind physikalische Ereignisse. Tipler bezeichnet seine Theorie als die erste Erlösungstheorie, die durch den Verstand und nicht durch den Glauben begründet wird.

Tipler hat mit renommierten Physikern wie Stephen Hawking und Roger Penrose zusammengearbeitet und gilt weltweit als Experte auf dem Gebiet der globalen allgemeinen Relativitätstheorie. Mit dem Buch "Die Physik der Unsterblichkeit" verlässt er den sicheren Boden der allgemein anerkannten Physik und begibt sich in einen Bereich, den klassische Physiker als Metaphysik bezeichnen. Er begründet die physikalische Omegapunkt-Theorie und verschneidet diese, entgegen den Warnungen seiner Fachkollegen, mit Begriffen und Vorstellungen der Theologie.

Unabhängig davon, wie man Tiplers Theorie bewertet, sind seine Visionen zur Zukunft des Universums lesenswert und seine informationstechnischen Analysen aufschlussreich. Bei seinen Ausführungen muss stets auseinandergehalten werden, was Gegenstand der anerkannten Physik ist und was darauf aufbauende Hypothesen sind.

Die Omegapunkt-Theorie beschreibt die Zukunft des Universums
Worum geht es? Die Omegapunkt-Theorie ist eine physikalische Theorie, die den mindestens 100 Milliarden Jahre in der Zukunft liegenden Endzustand des Universums behandelt. Der Omegapunkt ist das Gegenstück zur Anfangssingularität, die in der Kosmologie allgemein als Urknall bezeichnet wird. Der Begriff "Omegapunkt" geht auf die poetische Beschreibung der Evolution durch den Jesuiten Teilhard de Chardin zurück. Das Universum kollabiert im Endzustand, und das Leben geht im Omegapunkt auf. Jeder Einzelne wird zu ewigem Leben erweckt.

Eine physikalische Interpretation der Welt setzt voraus, dass man den Menschen als eine besondere Art von Maschine betrachtet, mit einem Gehirn als Gerät zur Informationsverarbeitung und der Seele als Software. Hierfür wird die Welt in Quanten (physikalisch kleinste Einheiten) zerlegt und auf dieser untersten Ebene der physikalischen Strukturen der Mensch als ein Bündel quantenmechanischer Zustände definiert.

Das Verhalten des Universums wird, soweit man es aus der allgemeinen Relativitätstheorie berechnen kann, nach kurzer Zeit (im Verhältnis zur Lebensdauer des Universums) chaotisch. Dies ist der derzeitige Erkenntnisstand der Kosmologie. Um das Chaos zu vermeiden, sind zusätzliche physikalische Randbedingungen erforderlich. Die Aktivitäten intelligenten Lebens sind ebenfalls nicht berechenbar. Daraus folgert Tipler: Intelligentes Leben wird in ferner Zukunft das Chaos (die Freiräume) in den physikalischen Gesetzen nutzen, um das Universum auf eine begrenzte Anzahl möglicher (und gewünschter) Zukünfte hin zu zwingen. Dies ist erforderlich, um überhaupt überleben zu können.

Die Menschheit wird den Weltraum kolonisieren, da biologisches Leben auf der Erde langfristig dem Untergang geweiht ist. Für die Kolonisierungsstrategie des Weltraumes sind Sonden mit sich selbst reproduzierenden Konstrukteuren erforderlich, d.h. Maschinen, die andere Maschinen herstellen können.

Tipler ist der Auffassung, dass jedes System einschließlich des Menschen durch eine endliche Anzahl von Quantenzuständen hinreichend definiert ist und daher nichtbiologische Trägermedien denkbar sind, auf die die Informationen, die das Leben ausmachen, implementiert werden können. In der Zukunft wird es Maschinen geben, die den sogenannten Turing-Test bestehen, d.h. man kann diese Maschinen nicht mehr von Menschen unterscheiden.

Die Omegapunkt-Theorie baut auf dem Postulat des ewigen Lebens auf. Fortschritt muss sich unendlich fortsetzen, und Leben muss nahe dem Omegapunkt die Kontrolle über alle Materie und Energiequellen erlangen. Die Alternativen "Wärmetod" oder "(Nietzsches) ewige Wiederkehr" wären voller Tragik und daher nicht akzeptabel, wie Tipler ausführlich und human begründet.

Wie lässt sich der freie Wille physikalisch erklären? Auf niederer Ebene existiert eine Art Zufallsgenerator, der dafür sorgt, dass Verhalten nicht determiniert ist. Diese Art von Verhalten findet man in der Quantenmechanik wieder. So ist das Verhalten eines einzelnen Teilchens nicht vorhersagbar (nicht determiniert, daher Willensfreiheit), aber eine große Anzahl von Teilchen lässt Gesetzmäßigkeiten erkennen. Daraus kann man folgern: Willensfreiheit ist begrenzt und eine Frage der Perspektive.

Tipler entwirft eine Computermetaphysik und erklärt damit die Auferstehung. Die physikalische Auferstehung besteht darin, dass Leben in den Computern der fernen Zukunft (nahe des Omegapunktes) emuliert (Emulation = exakte Simulation) wird. Dies betrifft nicht nur den einzelnen Menschen, sondern die gesamte Welt. Die 100 Milliarden Jahre zwischen Tod und Auferstehung spielen keine Rolle, weil diese quasi verschlafen werden.

Mit den Jenseitsvorstellungen der großen Religionen hat Tipler keine Probleme, da diese weitgehend mit den Erkenntnissen der modernen Physik in Einklang stehen. Unüberwindbare Differenzen gibt es allerdings zum Christentum. Das Wunder der Wandlung und die Auferstehung Jesu sind mit der Omegapunkt-Theorie nicht zu vereinbaren.

Der Entwurf einer naturwissenschaftlichen Religion
Tiplers Hypothesen über die Entwicklung des Universums sind weitsichtig und in dieser Form einzigartig. Ich habe keinen Zweifel daran, dass es irgendwann Maschinen geben wird, die den Turing-Test bestehen werden, aber das sind weiterhin Maschinen und keine Menschen.

Tipler verwendet in seiner Theorie ausschließlich Bausteine der Physik und vernachlässigt die Strukturen, mit denen Biologen, Psychologen, Neurologen und viele andere Wissenschaftler arbeiten. Da bei entsprechend komplexer Anordnung der "Grundbausteine" der Physik "lebende Strukturen" mit völlig unvorhersehbaren und physikalisch nicht erklärbaren Eigenschaften entstehen (Bewusstsein), hat Tiplers Modell nur eine begrenzte Aussagekraft. Er muss sich den Vorwurf gefallen lassen, eine extrem reduktionistische Position zu vertreten. Bedenkt man andererseits, dass Theologie von vielen Naturwissenschaftlern als Unsinn bezeichnet wird, so ist mit seiner Theorie zumindest eine mit dem bisherigen Stand der Physik in Einklang stehende Theorie beschrieben. Ob diese Theorie mit der Naturwissenschaft insgesamt vereinbar ist, muss aus den oben genannten Gründen bezweifelt werden.

Ich hätte es begrüßt, wenn Tipler die Omegapunkt-Theorie zunächst aus rein physikalischer Sicht beschrieben hätte und in einem separaten Kapitel die Verschneidung mit der Theologie vorgenommen hätte. So wäre eine stufenweise Annäherung an seine Thesen möglich gewesen.

Wissenschaftliche Theorien gelten in ihrem eng umrissenen Definitionsbereich. Extrapolationen oder die Verknüpfungen von unterschiedlichen Theorien führen zu verwässerten Ergebnissen. In diesem Sinne sind Tiplers Beweisführungen lückenhaft, und er hat kein wissenschaftliches Modell sondern eine "naturwissenschaftliche" Religion kreiert. Wer Tiplers Thesen in Grund und Boden seziert, sollte aber bedenken, dass man auch jedes religiöse Werk zerlegen könnte. Eine Theorie, die Wissenschaft und Religion harmonisieren will - (ich empfehle zu diesem Thema das Buch "Wir sind nicht nur von dieser Welt" von Hoimar von Ditfurth) -, kommt meines Erachtens nicht an dem in der Mythologie beschriebenen "kosmischen Bewusstsein" vorbei. Steuert die Menschheit auf eine solche Bewusstseinsstufe zu? Wenn ja, würde sich unsere Sicht der Welt in der Zukunft vollkommen ändern.

Tiplers provokante These "Theologie wird ein Teilbereich der Physik" überspannt den Bogen. Aber auch die Umkehrung der Aussage, die Physik als einen Teilbereich der Theologie anzusehen, trifft nicht den Nagel auf den Kopf. Physik (oder allgemeiner Naturwissenschaft) und Religion sind unterschiedliche Perspektiven auf den gleichen Gegenstand. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse beeinflussen das Selbstverständnis des Menschen und seine Interpretation der Welt. Sie sollten auch das religiöse Verständnis beeinflussen. Sie sind aber kein Ersatz für Religion.

(Klemens Taplan)


Frank J. Tipler: "Die Physik der Unsterblichkeit.
Moderne Kosmologie, Gott und die Auferstehung der Toten"

Piper, 2001. 604 Seiten.
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