Leif GW Persson: "Eine andere Zeit, ein anderes Leben"


Leif GW Persson, geboren am 12. März 1945 in Stockholm, ist seit vielen Jahren Professor der Kriminologie, Berater der obersten Polizeibehörde, Medienexperte - und einer der führenden Krimiautoren Schwedens, obwohl er noch gar nicht so viele Bücher veröffentlicht hat. Persson ist ein charismatischer, kantiger und schillernder Mann, der weiß, worüber er schreibt. Seine Romane um Lars M. Johansson, der im Laufe der Jahre eine erstaunliche Karriere macht, ohne sich zu verbiegen, und die Stockholmer Polizeibehörden zählen zu den erfolgreichsten des Landes.

Leif GW Persson begann seine schriftstellerische Tätigkeit Mitte der 1970er Jahre mit dem leider immer noch nicht übersetzten Roman "Grisfesten", in dem er die Geschichte seiner Entlassung aus dem Polizeidienst nacherzählte. Anschließend folgten 1979 "Die Profiteure" und "In guter Gesellschaft", beide jüngst bei btb aufgelegt. Alle diese Bücher hatten in Schweden großen Erfolg.

Danach folgte eine fast zwanzigjährige Schreibpause, bis Persson mit "Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters" ein sensationeller Wiedereinstieg gelang. In diesem Buch geht es um den bis heute nicht aufgeklärten Mord an dem schwedischen Ministerpräsidenten Olof Palme.

Leif GW Perssons Stil ist eigen. Obwohl seine Bücher kaum weniger spannend sind als andere Krimis, sind sie dokumentarischer, wissenschaftlicher. Er schildert aufgrund seiner internen Kenntnisse des Polizeiapparates die Arbeit der ermittelnden Beamten nüchterner, sachlicher, ehrlicher, auf jeden Fall weniger spektakulär als andere Autoren seines Genres.
An einer schönen Stelle seines gegenständlich besprochenen Buches "Eine andere Zeit, ein anderes Leben" beschreibt er seine beiden Polizistenrollen Bo Jarnebring und Lars Martin Johansson mit kleinem ironischen Seitenhieb auf seine schwedischen Schriftstellerkollegen:
"Ihr wichtigste gemeinsame Eigenschaft war, dass sie beide - in einer Umgebung, die fast nur aus Polizisten bestand - einstimmig als 'echte Polizisten' beschrieben wurden. Außerdem waren sie die Helden einer großen Anzahl sogenannter Polizeigeschichten von variierendem Wahrheitsgehalt, und anders als ihre Kollegen in der literarischen Fiktion, die sich mit weiblichen Intellektuellen umgaben, Opern und modernen Jazz hörten und die neue französische Küche goutierten, bevorzugten Johansson und Jarnebring normale Frauenzimmer, am liebsten Kolleginnen, Schlagermusik und Hausmannskost.
Aber natürlich gab es zwischen ihnen auch Unterschiede. Hätte jemand Jarnebring gefragt, ob er sich vorstellen könne, mit entblößter Brust die Kugel aufzuhalten, die für seinen besten Freund bestimmt war, dann hätte er ein Wolfsgrinsen gezeigt und gesagt, dieses Problem würde sich niemals stellen, da er als Erster schießen würde. Hätte man aber Johansson diese Frage gestellt, hätte er vermutlich ausweichend gelächelt, die Frage als gar zu sentimental abgetan und erklärt, er könne sich aber möglicherweise vorstellen, Jarnebring das Geld für ein neues Auto zu leihen." (S. 173)

In "Eine andere Zeit, ein anderes Leben" geht es um den Terroranschlag der RAF (Kommando Holger Meins) am 24. April 1975 auf die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Stockholm. Schon damals war Bo Jarnebring an der Ermittlung beteiligt, und etliche Sachverhalte waren ihm sehr suspekt. Da er aber nicht mit der Leitung der Ermittlungen befasst war, geraten seine Eindrücke zunächst in Vergessenheit. Auch im Dezember 1989 ist Jarnebring nicht der Leiter der Ermittlungen, als Kjell Eriksson ermordet aufgefunden wird, sondern ein gewisser homophober Kommissar Bäckström. Doch schon bei diesem Fall arbeitet die junge Anna Holt (eine Reminiszenz an die norwegische Kollegin Anne Holt?) mit, die sich dann im Jahr 2000 kurz vor der Verjährung der Botschaftsbesetzung im Team von Lars M. Johansson durch besondere Leistungen hervortut.

Schon 1975 hatten alle vermutet, dass die deutschen Terroristen schwedische Helfer hatten. Aber aus bestimmten politischen Gründen wurden die entsprechenden Ermittlungen eingestellt.

Als nun kurz vor ihrer Ernennung auf einen wichtigen Posten im Verteidigungsministerium die linke Staatssekretärin Helena Stein von Geheimdienst überprüft werden soll, taucht ihre Teilnahme an der Besetzung der Botschaft wieder auf, und auch der Mord an Kjell Eriksson erscheint in einem anderen Licht. Lars M. Johansson und sein Team lösen den Fall auf ihre Weise ...

Ein wunderbares Buch eines Krimiautors, der politischen Anspruch und Hintergrund, gute Recherche, kriminologische Wissenschaft und beißende Kritik am Polizeiapparat und der Gesellschaft zu einem aufklärerischen und gleichzeitig spannenden Text zusammenführt.

Es ist schade, dass Leif GW Persson in Deutschland, jedenfalls was die Auflagenstärken betrifft, so wenig Rezeption erfährt. Das sollte sich ändern.

(Winfried Stanzick; 03/2006)


Leif GW Persson: "Eine andere Zeit, ein anderes Leben"
(Originaltitel "En annan tid, ett annat liv")
Aus dem Schwedischen von Gabriele Haefs.
btb Verlag, 2006. 480 Seiten.
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Weitere Bücher des Autors:

"Mörderische Idylle"

In Wäxjö, einem idyllischen Provinzstädtchen in Schweden, geschieht ein kaltblütiger Mord, der die Gemüter ganz besonders erregt: Die zwanzigjährige Linda wurde in ihrer Wohnung grausam misshandelt, vergewaltigt und anschließend erwürgt. Der Täter konnte durch das Schlafzimmerfenster unbemerkt entkommen. Linda war nicht nur ausgesprochen hübsch und bei allen beliebt, sie besuchte noch dazu die Polizeischule und stand kurz vor der Übernahme in den regulären Dienst, sie war also eine Kollegin. Stammt der Täter etwa aus Kreisen der Polizei? Linda muss ihn zumindest gekannt haben, darauf deuten die Spuren am Tatort hin. Bäckström, leitender Ermittler aus Stockholm, soll die Kollegen vor Ort unterstützen. Ausgestattet mit einer gehörigen Portion Arroganz richtet er indes mehr Schaden an als Nutzen. Hat er selbst etwas zu vertuschen? Erst als die Kommissarinnen Anna Holt und Eva Mattei den Fall übernehmen, kommt schrittweise Licht ins Dunkel - kein leichtes Unterfangen in einem Ort, wo alle einander kennen und doch jeder etwas zu verschweigen scheint ... (btb) zur Rezension ...
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"Die Profiteure"

Eine junge Frau wird in ihrem Apartment in Stockholm brutal ermordet aufgefunden. Als die Polizei eintrifft, erwartet sie ein ungewöhnliches Szenario: Ein aufmerksamer, unerschrockener Nachbar hält einen Verdächtigen im Hinterzimmer seines kleinen Lebensmittelladens gefangen. Bei der Überführung ins Präsidium unternimmt dieser einen Fluchtversuch, der misslingt und den Verdacht gegen ihn verhärtet. Nur die ermittelnden Polizisten Lewin, Johansson und Jarnebring haben ihre Zweifel. Der Verdächtige hat weder ein Motiv für den Mord, noch finden sie Hinweise, die ihn überführen könnten ...
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"In guter Gesellschaft"
Ein alter Mann, der gerne einmal einen über den Durst trinkt, aber ansonsten harmlos ist, wird schwer verletzt in der Ausnüchterungszelle vorgefunden. Hat die Polizei ihn misshandelt? Kriminaldirektor Lars Johansson, neu auf diesem Posten, soll ermitteln. Zunächst hält er das Ganze für eine Routineangelegenheit und auch für nicht sehr wahrscheinlich. Erst allmählich wird ihm klar, dass es Elemente bei der Stockholmer Polizei gibt, die nicht nur brandgefährlich sind, sondern auch über einen gewaltigen Einfluss im Apparat verfügen.
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"Zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters"

Stockholm, ein Freitagabend im November: John Krassner, amerikanischer Journalist aus Albany, ist aus dem fünfzehnten Stock eines Studentenwohnheims gesprungen. Unfall? Oder Mord? Für die herbeigerufene Polizei ist die Sache schnell klar: Der Mann ist freiwillig aus dem Leben geschieden. Noch dazu hat er eine äußerst poetische Abschiedsnotiz hinterlassen. Er habe sein Leben zwischen der Sehnsucht des Sommers und der Kälte des Winters verbracht. Etwas kryptisch zwar, aber dennoch eindeutig ein Zeichen des Abschieds. Die Sache wird zu den Akten gelegt. Aber einer der höchsten Beamten, Kriminaldirektor Lars M. Johansson, momentan damit beauftragt, Ungereimtheiten in der Behörde selbst aufzuklären, traut dem Frieden nicht. Als im Absatz von Krassners Schuh dann auch noch ein Zettel gefunden wird mit der geheimen Privatadresse von Johansson und dem Zusatz "to an honest policeman", beschließt dieser, der Sache nachzugehen - doch im Zuge seiner Ermittlungen wünscht er sich manchmal, er hätte sich anders entschieden ...
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