Viktor Pelewin: "Generation P"


... über Wirkungen und mögliche unerwünschte Wirkungen informieren Vorwort, Arzt oder Autor ...

Babilen Tatarski, (der Einfallsreichtum Viktor Pelewins hinsichtlich des Zustandekommens des ungewöhnlichen Vornamens "Babilen" zu Anfang ist schon eine Geschichte für sich ...), der "Held" des Romans "Generation P" vegetiert im Käfig der Ausläufer gesellschaftlicher Fehlentwicklungen in Russland, verbringt Tage und Nächte im Alkohol- und/oder Drogenrausch und schlittert nebenbei zufällig in eine Karriere als Werbetexter.

Doch halt! Es wäre nicht Viktor Pelewins Welt, geschähe irgendetwas rein "zufällig"! Selbst der Namensgebung kommt letztendlich sinnstiftende Bedeutung zu. Wie schon Michael Martens über Pelewins Roman "Buddhas kleiner Finger" so treffend bemerkte, "mündet der eingangs realistische Erzählfluss in eine Kaskade von immer merkwürdigeren, sich in ihrer Absurdität steigernden Ereignissen". So ist der Roman zu Beginn eine Analyse des status quo der postkommunistischen Gesellschaftsordnung, der Konsumsucht sowie der individuellen innerlichen wie äußeren Zerrüttung, infolgederer man sich des Eindrucks kaum erwehren kann, die russische Bevölkerung setze sich ausschließlich aus Grenzgängern jeder Art zusammen.

Doch sobald Pelewins typische Elemente (Esoterik, Religion, Mythen) aufblühen, ist die banale Tristesse des promillelastigen Alltags vergessen, und sein Held verstrickt sich immer mehr in einem schicksalhaften Netz von bizarren Todesfällen, seltsamen Bekanntschaften, profetischen Träumen und wird - wie von Geisterhand - unaufhaltsam die Karriereleiter empor geschubst. Da die Handlung im Dunstkreis der, (im konkreten Fall zwielichtigen), Werbebranche und Medienmacher angesiedelt ist, findet auch Pelewins humoristisches Talent Raum sich zu artikulieren, was in Slogans wie "Geld stinkt! BENJAMIN - Der neue Duft von Hugo Boss" oder "Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß. Zu viel Wissen verdirbt den Geschmack. DAVIDOFF LIGHTS" mündet.

Das zähe Ringen des Einzelnen um Selbstbestimmung in einer verwirrenden Umgebung, der innere Widerstreit zwischen aufbegehren und sich fügen und das Gefühl, ein Spielball höherer Mächte zu sein - allesamt Motive, die in der Literatur stets aktuell waren und sind. Das (täuschende?) bequeme Gefühl, selbst Quelle der eigenen Gedanken und Taten zu sein und nicht ferngesteuert fremde Vorstellungen zu leben, kommt der Hauptfigur (Nebenwirkung: und auch dem Leser...) jedenfalls Seite für Seite abhanden.
Viktor Pelewin schafft es mit spielerischer Leichtigkeit den Rand des Unwahrscheinlichen entlang zu tänzeln und seinen Figuren bei aller Absurdität Leben einzuhauchen. Sein Stil erzeugt einen Erzählsog, der seinesgleichen sucht: Das Leben an sich unter dem Mikroskop, mit einem märchenhaften Ende garniert!

(kre; 2000)


Viktor Pelewin: "Generation P"
Gebundene Ausgabe:
Verlag Volk & Welt, 2000.
Aus dem Russischen von Andreas Tretner.
Buch bei amazon.de bestellen
Taschenbuch:
Ullstein, 2002. 323 Seiten.
Buch bei amazon.de bestellen