Klaus Rifbjerg: "Nansen und Johansen"

Ein Winterabenteuer


Die Leere nach der Erfüllung eines Lebenstraumes

Schon immer hat der junge Hjalmar Johansen Brüche in seinem Leben durchgemacht, wenn der scheinbar vorgezeichnete Weg sich völlig anders entwickelte als erwartet, und jedes Mal führten die Brüche zu einer Weiterentwicklung.

Als Johansen am Beginn einer Karriere in der Armee steht, erfährt er von der Expedition, die der Entdecker Fridtjof Nansen mit dem Forschungsschiff "Fram" zum Nordpol unternehmen wird. Sofort gibt Johansen seinen sicheren Posten bei der Armee auf und setzt alles daran, auf der "Fram" mitreisen zu dürfen. Er erreicht sein Ziel, wenn er auch nur als Heizer eingestellt wird.
Während der Expedition erregt er wegen seiner Zielgenauigkeit beim Schießen und seiner besonders guten körperlichen Konstitution die Aufmerksamkeit des Expeditionsleiters. Als dieser beschließt, die wie erwartet vom Packeis eingeschlossene und mit diesem langsam nach Norden ziehende "Fram" zurückzulassen und auf Skiern zum Pol zu gelangen, nimmt er Johansen mit. Für diesen erfüllt sich endgültig sein Lebenstraum: Er hat es nicht nur auf die "Fram" geschafft, sondern wurde von seinem Idol Nansen auserwählt. Mehrmals rettet er Nansen das Leben. Es entspinnt sich eine eigenartige Freundschaft zwischen den so unterschiedlichen Männern, und im langen Dunkel der Polarnacht, im gemeinsamen Schlafsack, entsteht etwas über Freundschaft Hinausgehendes. Johansen fällt es unter diesen Umständen nicht so schwer einzusehen, dass sie den Pol nicht erreichen können und umkehren müssen.
Als die beiden von einer englischen Expedition gefunden werden, bricht für Johansen eine Welt zusammen - schon bevor Nansen das in einem erotischen Augenblick angebotene Du zurücknimmt. Auch die umgehende Beförderung Johansens zum Hauptmann in der Armee hilft diesem nicht, den Alltag zu akzeptieren: Johansen, von Eifersucht und Schmerz zerfressen, zieht schließlich eine verzweifelte Konsequenz.

Rifbjerg hat mit "Nansen und Johansen" einen Abenteuerroman verfasst, in dem es nicht so sehr um die Entdeckungen der beiden Männer in der Polarregion geht, sondern um die von ihrer Expedition ausgelösten Ereignisse in ihrem Inneren - vor allem in Johansen. Mit nachprüfbaren Details um die Figur des Johansen nimmt es der Autor daher auch nicht so genau; letztlich scheiterte der historische Johansen an ganz anderen Problemen.
Doch in einem Roman sind solche Freiheiten natürlich erlaubt, wenn sie der Spannung dienen und glaubwürdig vorgetragen werden, und das ist hier der Fall. "Nansen und Johansen" schildert nach einer gewissen, für meinen Geschmack etwas zu ausgedehnten "Warmlaufzeit" sehr dramatisch die unbeirrbare, von Strapazen geprägte Suche eines mutigen Mannes nach seinem Weg - und dessen abruptes Ende, als er ihn endlich gefunden zu haben glaubt.
Sprache und Stil sind schlicht und klar, dem Stoff angemessen. Verarbeitung und Aufmachung lassen nichts zu wünschen übrig. Insgesamt also ein gut gelungenes Buch!

(Regina Károlyi; 11/2005)


Klaus Rifbjerg: "Nansen und Johansen"
Aus dem Dänischen von Walburg Wohlleben.
Europäische Verlagsanstalt / Die Hanse, 2005. 164 Seiten.
ISBN 3-434-52605-6.
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Klaus Rifbjerg wurde 1931 in Kopenhagen geboren. Seit 1956 hat der vielfach mit Preisen und Ehrungen ausgezeichnete bekannteste Autor der dänischen Gegenwartsliteratur mehr als hundert Bücher geschrieben, ebenso Gedichte. Er ist Herausgeber zahlreicher Fernseh- und Theaterstücke sowie von Filmmanuskripten und journalistischen Artikeln.

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Klaus Scherer, geboren 1961 in Pirmasens, ist Reise- und Sonderreporter beim "Norddeutschen Rundfunk". Er studierte Soziologie, Geografie und Publizistik in Mainz und volontierte anschließend beim "Sender Freies Berlin". Von 1990 bis 1995 war er Inlandskorrespondent für "Tagesschau" und "Tagesthemen", danach Reporter und Redakteur beim "NDR"-Politmagazin "Panorama". Anno 1999 ging er als Fernostkorrespondent und Leiter des "ARD"-Studios nach Tokio, ab 2004 produzierte er von Hamburg aus hochkarätige Reisereportagen. Von 2007 bis 2012 berichtete er als "ARD"-Korrespondent aus Amerika. Für seine journalistische Arbeit erhielt Scherer den "Axel-Springer-Preis", den Deutschen Fernsehpreis "TeleStar" und den "Adolf-Grimme-Preis". Über seine Reisen und Recherchen hat er mehrere Bücher veröffentlicht. (Piper)
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