Meja Mwangi: "Die achte Plage"

Vom tabuisierten Umgang mit AIDS

Drei Fahrgäste waren ausgestiegen - eine gut gekleidete junge Frau und ein altes Ehepaar, mager und erschöpft von den Stürmen der Zeit. Ihr gesamtes Gepäck bestand aus zwei riesigen Pappschachteln und einem aus Tannenholz grob gezimmerten Sarg. Die junge Frau hob sich eine der Schachteln auf den Kopf und schickte sich an, die Straße zu überqueren.
"Musa", rief Onkel Mark, als er sie kommen sah, "sie ist wieder da." ...
Da tauchte Musa aus der Küche auf, das Gesicht gesprenkelt mit Russ und Holzkohlenstaub, und fragte, wer wieder da sei. "Die Kondomfrau", antwortete Onkel Mark.


Dass HIV den afrikanischen Kontinent überzogen hat, ist mittlerweile in Europa weitestgehend bekannt, und viele haben bereits schreckliche Einzelschicksale in verschiedenen Nachrichtenmagazinen und Dokumentationen kennen gelernt. Doch meist stammen diese Berichte von Angehörigen von Hilfsorganisationen, die das afrikanische Leben mehr oder weniger von außen betrachten und darum ihre spezifische nicht-afrikanische Sichtweise weitergeben. Wir alle sind sehr betroffen, aber einen wirklichen Zugang zum afrikanischen Denken in Zeiten von AIDS bekommen wir dadurch nicht unbedingt.

"Die achte Plage" - geschrieben von einem Kenianer - ermöglicht es den europäischen Leserinnen und Lesern, einen tieferen Einblick in die Auswirkungen der Seuche in einem afrikanischen Dorf zu erhalten. Crossroads ist ein kleiner Ort, voller einfacher Menschen, die bereits des Öfteren wirtschaftliche Schläge gegen ihre Identität und ihr Wohlergehen erleiden mussten. Aber vor einigen Jahren ist die "Seuche" in das Dorf eingefallen, und nun siecht es langsam dahin. Die Anzahl der Verstorbenen ist so hoch, dass eine offizielle Beerdigungsstunde festgelegt wurde, damit nicht 24 Stunden am Tag Beerdigungen stattfinden und so die Moral der Dorfbewohner weiter zerstört würde. Die meisten, die es sich leisten können, haben das Dorf verlassen und sind in die Städte abgewandert, und viele Bauernhöfe und Läden stehen wegen der Landflucht und der Todesfälle leer und verfallen. Crossroads ist ganz auf das Sterben eingestellt und Hoffnung hat niemand mehr. Nur Janet - die Kondomfrau, wie sie genannt wird - zieht, von allen offen verlacht, aber insgeheim angebetet, durch die Gegend und versucht ihre Mitmenschen davon zu überzeugen, Verhütungsmittel gegen zu viele Kinder und Kondome gegen die Seuche zu benutzen. Doch die Männer sind uneinsichtig und die Frauen kommen nur heimlich zu ihr, um sich die Pille zu besorgen um nicht zu reinen Gebärmaschinen degradiert zu sein. Janet arbeitet im Auftrag der Regierung, die ihr die Kondome und die Pillen zur Verfügung stellt, aber die Offiziellen von Crossroads legen ihr eher Steine in den Weg, auch weil Janet die Meinung verbreitet, dass die hier übliche Form der Beschneidung ebenfalls zur Verbreitung der Seuche beiträgt. Damit macht sie sich Kata Kataa zum Feind, den Medizinmann des Dorfs, dessen Haupteinnahmequelle die Beschneidung der Jungen ist.

Als Frank Fundi, den Janet einst geliebt hat, nach einem Studium der Veterinärmedizin nach Crossroads zurück kommt, spannt Janet ihn sofort für ihre Arbeit ein, was dazu führt, dass Frank erst von Kata Kataa fast erschlagen wird, später knapp einer Kastration durch die Angehörigen des Dorfes entgeht und nach dem Abriss seiner provisorische Klinik schließlich auch noch ins Gefängnis geworfen wird. Trotzdem kann er sich nicht dazu überwinden, Crossroads - und damit Janet - zu verlassen und so steht er ihr, zusammen mit den jungen Big Youth, weiter in ihrem Kreuzzug gegen Tradition und Ignoranz zur Seite. Da taucht plötzlich Janets Ehemann Broker auf, der seine Frau vor etwa zehn Jahren wegen einer jungen Prostituierten verlassen hatte, so dass diese ihre drei Kinder ohne männliche Hilfe aufziehen musste. Der weltgewandte Geschäftsmann beginnt sein Können und sein Wissen für die Rettung von Crossroads einzusetzen und versucht damit gleichzeitig, das Herz seiner Frau wiederzugewinnen, die aber nichts mehr von ihm wissen will.

Neben den oben gezeigten Perspektiven auf das Leben mit einer hohen HIV-Durchseuchung gibt dieser Roman auch gute Einblicke in die Schwierigkeiten des Lebens von Frauen in der nicht immer so modernen afrikanischen Gesellschaft, in die offizielle Korruption und in die Gefahr der Unwissenheit. Alles in allem ein sehr bemerkenswertes und interessantes Buch, das jeder, der sich mit Afrika und Pandemien beschäftigt, gelesen haben sollte.

Meja Mwangi wurde 1948 in Nanyuki, Kenia, geboren. Seine Geburtsstadt liegt im alten Siedlungsgebiet der Kikuyu und war Schauplatz des Mau-Mau-Aufstands gegen die weißen Siedler und die britische Kolonialverwaltung in den frühen 1950er Jahren, einem der heftigsten Guerillakriege im Zuge der afrikanischen Unabhängigkeitsbewegungen. Die Jugendeindrücke Mwangis waren durch den 1952 verhängten Ausnahmezustand bestimmt. Nach dem Schulbesuch arbeitete Meja Mwangi zunächst bei der French Broadcasting Corporation und beim British Council in Nairobi, seit dem Erfolg seines Romans "Kill me quick" (1973) als freier Schriftsteller. 
Auszeichnungen: Jomo Kenyatta Award für "Killing me quick" (1973), Lotus Award (1978), Adolf-Grimme-Sonderpreis zur "Nord-Süd-Problematik"(1992), Deutscher Jugendbuchpreis für "Kariuki" (1992). Meja Mwangi gilt als Autor des modernen Afrika. In seinen sozialkritischen Romanen, Theaterstücken und Kinderbüchern beschreibt er das Leben der Unter- und Mittelschicht. In seinem Roman "Die achte Plage" thematisiert er den Umgang mit der Krankheit AIDS. Seine Literatur ist auf eine neue Art afrikanisch und weltläufig zugleich, Chronik ihrer Zeit und ihres Herkunftslandes.

(K.-G. Beck-Ewerhardy; 07/2003)


Meja Mwangi: "Die achte Plage"
Peter Hammer Verlag, 1997. 448 Seiten.
ISBN 3-87294-775-3.
ca. EUR 22,50.
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